Die spaete Ernte des Henry Cage
überboten. Sie gaben sich die Hand, die junge Frau blieb geschäftsmäßig. Henry hatte mit einem gewinnenden Lächeln gerechnet, doch das war wohl nicht mehr zeitgemäß.
Nach der Begehung des Hauses einigten sie sich auf den Preis und vereinbarten, dass Besichtigungen nur am Nachmittag stattfinden sollten. Henry wollte das Haus in makellosem Zustand vorzeigen, wollte aber auch, das Mrs Abraham, die Architektin dieser Makellosigkeit, aus dem Weg war.
Innerhalb einer Woche war das Haus an einen russischen Geschäftsmann verkauft, der bar bezahlen wollte. Beurkundung und Kaufabwicklung wurden innerhalb von vier Wochen vereinbart.
»Ich bleibe, bis Sie wegziehen, wenn das in Ordnung ist. Sie brauchen doch Hilfe, um alles für den Umzug vorzubereiten.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mrs Abraham. Was machen Sie denn danach, ich meine, werden Sie sich eine andere Stelle suchen?«
»Die Dame am Nachmittag möchte, dass ich länger bleibe. Andauernd fängt sie davon an. So viel Bügelwäscheund dann noch die Kinder, aber ich wollte nicht weg, solange Sie noch hier sind, nicht, wo doch Mrs Cages Sachen noch alle da sind …«
Weiter kam sie nicht; sie eilte hinunter in die Waschküche. Henry wusste, dass sie Nessa sehr nahegestanden hatte, aber es war ihm nie klar gewesen, dass Mrs Abraham nach der Scheidung freiwillig geblieben war, dass es andere Möglichkeiten gegeben hätte. Er fragte sich, ob sie wohl lieber mehr Zeit bei der Dame am Nachmittag verbracht hätte, in einem Heim voller Arbeit und Kindertrubel. Er dachte daran, wie sie Tag für Tag in sein Haus gekommen war, wo nicht mal das Ticken einer Uhr sie begrüßt hatte.
An ihrem letzten Vormittag gab er Mrs Abraham den versprochenen Scheck. Sie machte eine Bewegung, als wolle sie ihn umarmen, doch dann gab sie ihm nur die Hand. Henry war überrascht, wie rau ihre Haut war.
Später spielte er zum ersten Mal seit Wochen wieder Klavier, ein Abschiedskonzert für das Haus, die Gärten und die Erinnerungen.
43.
Henrys Schlafzimmer ging nach vorn hinaus. Nessa und er hatten stets bei offenem Fenster geschlafen; die Verriegelungen waren so angebracht, dass er das Fenster zehn Zentimeter hochschieben konnte, bevor sie einrasteten.
Normalerweise sorgte das für ausreichend Luftzirkulation, doch in diesem Frühjahr war die Banksia-Rose so üppig gewachsen, dass sich die Luft durch dichtes Blattwerk kämpfen musste. Er war mit Mark und Marco, den Gärtnern, die einmal die Woche vorbeikamen, so verblieben, dass sie bei Neubezug des Hauses mit dem neuen Besitzer darüber reden sollten, sie zurückzuschneiden. Henry erinnerte sich noch daran, wie entzückt der Mann gewesen war, als er das Grün und Gelb der in Blüte befindlichen Rose sah.
»Meine Jockeyfarben«, hatte er voller Genugtuung festgestellt.
Henry wusste von der Maklerin, dass der Mann aus Moskau vorhatte, das Haus zu renovieren und eine Klimaanlageeinbauen zu lassen. Wirkungsvoller als zwei versetzt angebrachte Fensterriegel, fand Henry, aber er hasste die Vorstellung, jemand könne das Haus auseinandernehmen. Nun wäre es ihm lieber gewesen, wenn er es an ein Paar vom Land verkauft hätte, das sich verkleinern wollte, Zugezogene aus Wiltshire oder Dorset, die nun in der Nähe ihrer Kinder und der Londoner Krankenhäuser sein wollten. Sie wären eingezogen und hätten bestimmt nichts verändert.
In der Nacht vor dem Eintreffen der Umzugsleute, die zwei Tage packen und aufladen wollten, lag Henry wach im Bett. Er bedauerte seine Entscheidung, die Rose nicht zurückschneiden zu lassen. Das bisschen Luft, das bis ins Zimmer drang, war warm und machte Henry noch ruheloser als sonst. Auch die Talkshow im Radio war keine Hilfe. Wieder mal stritten sie über Abtreibung. Egal, ob Pro oder Kontra, die Anrufer waren alle bigott. Man hörte die üblichen Vorurteile, aber Meinungen ändern sich nun mal nicht. Statt Schäfchen zu zählen, achtete Henry darauf, wie oft jeder Anrufer »Wissen Sie?« sagte – offenbar der ansteckendste Virus, der je die Sprache befallen hatte, wissen Sie? Er gab das Zählen auf, als Mary von der Isle of Wight diese Phrase in ihrem kurzen, aber zerstückelten Anruf achtunddreißig Mal wiederholte.
Zwei Uhr dreißig. Henry zog die Stöpsel aus den Ohren und setzte sich, an die beiden Kissen gelehnt, auf. Manchmal konnte er besser einschlafen, wenn er sich eine andere Position suchte. Er sah sich um. Jeder einzelne Gegenstand erinnerte ihn an Nessa. Bald schon würde alles
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