Die Sphaeren
größte Teil des Lebens hinter ihr lag. Der Hyeng-zhar-Wasserfall erwies sich als ebenso beeindruckend wie beim ersten Mal: genau gleich und doch völlig anders. In den Jahren zwischen den Besuchen – zehn Standardjahre – war der Wasserfall fast siebenhundert Meter weit stromaufwärts zurückgewichen und hatte ganz neue, faszinierende Teile der Stadt freigelegt, geradezu grotesk unterschiedliche Gebäude und Strukturen.
Von der Decke der Neunten aus betrachtet sah vermutlich alles genauso aus wie vorher, aber wenn man die Dinge aus der Nähe sah, fielen einem die Unterschiede auf. All die Dinge, die Anaplian bei ihrem ersten Besuch gesehen hatte, waren in Richtung des Unteren Meers fortgespült worden, in Form von Schlick, Schlamm, Sand, Felsen und Schutt. Oder sie waren krumm und schief im großen, breiten Strom des Wassers liegen geblieben, umgeben von Sandbänken und angesammeltem Treibgut.
Wenn sie heute zurückblickte … Schon damals hatte es Anzeichen für die Absichten der Deldeyn gegeben. Viele Männer in Uniform und eine allgemeine Atmosphäre des Grolls darüber, dass andere Leute den Deldeyn sagen konnten, was sie auf ihrer Ebene tun konnten und was nicht. Und das alles nur wegen einer dummen Vereinbarung, in einer Zeit der Schwäche getroffen.
Anaplian war gerade reif genug gewesen, einen Teil davon zu bemerken. Aber leider hatte ihr damals die Fähigkeit gefehlt, ihre Beobachtungen zu analysieren, in einen Zusammenhang zu bringen und auf dieser Grundlage zu handeln. Hätte sich ein Unterschied ergeben, wenn sie zu jener Zeit imstande gewesen wäre, die Gefahren zu erkennen? Hätte sie ihren Vater darauf hinweisen und ihn warnen können?
Es hatte natürlich Warnungen gegeben. Spione und Diplomaten der Sarl – beim Katarakt, in der regionalen Hauptstadt Sullir und am Hof der Deldeyn – hatten sowohl von der Stimmung berichtet als auch Details der Kriegsvorbereitungen genannt, aber niemand war bereit gewesen, ihnen Beachtung zu schenken. Es trafen immer wieder solche Berichte ein, und oft widersprachen sie sich. Einige wurden falsch verstanden.
Andere stammten von Agenten und Beamten, die versuchten, ihre eigene Bedeutung hervorzuheben. Wieder andere basierten auf bewussten Falschinformationen seitens der Deldeyn. Man musste sich die Rosinen herauspicken, und genau dort lag das Fehlerpotenzial.
Selbst ihr Vater, zu jenem Zeitpunkt bereits ein kluger Krieger, hatte damals manchmal die Schuld auf sich geladen, nur das zu hören, was er hören wollte, und nicht die tatsächlich gesprochenen Worte. Ein möglicher Krieg gegen die Deldeyn war damals das Letzte gewesen, was er zu hören wünschte. Er war vollauf mit seinen Feldzügen auf der Achten beschäftigt, und die Heere der Sarl hätten es auf keinen Fall mit den zu jener Zeit überlegenen Streitkräften der Neunten aufnehmen können.
Anaplian begriff, wie wenig Sinn es hatte, sich Illusionen oder Schuldgefühlen hinzugeben. Selbst wenn sie in der Lage gewesen wäre, eine Warnung zu überbringen: An der Situation hätte sich dadurch nichts geändert. Schließlich war sie nur ein Mädchen gewesen, und ihr Vater hätte ohnehin nicht auf sie gehört.
Sie lag wach in ihrer Kabine, den schlafenden Skiltz an ihrer Seite, die getarnte Messerrakete mit dem ebenfalls schlafenden Drohnen-Selbst sicher in der Reisetasche im Schrank verstaut. Sie konnte noch ihre neurale Borte benutzen, solange sie sich im Datenversum der Kultur befand, erst recht an Bord des Schiffes, und mit seiner Hilfe ließ sie ein Bild an die gegenüberliegende Wand des Schlafzimmers projizieren: Es zeigte den Weltraum vor der Versuch Dies Nicht Zu Hause.
Das Schiff flog mit moderater Geschwindigkeit – die Sterne
wirkten fast stationär. Anaplian blickte auf die vielen kleinen Lichtpunkte vor dem Schiff und wusste, dass Sursamens Sonne Meseriphine noch zu weit entfernt und wahrscheinlich nicht zu sehen war. Sie fragte nicht danach, bat auch nicht um eine Angabe der Distanz oder eine Kennzeichnung in der Projektion. Eine Zeit lang beobachtete sie einfach nur die langsam dahinziehenden Sterne, dachte an daheim und fiel schließlich in einen traumlosen Schlaf.
14
Spiel
T oho! Ich wette eine Krone gegen deine kleinste Münze, dass du ihn fallen lässt!«
»Abgemacht, Honge, du Arsch«, brachte der betreffende Mann zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er nahm das Gewicht von Stock und Krug aufs Kinn und stand ganz still, als eine der Kellnerinnen den Krug fast bis zum
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