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Die Sphaeren

Die Sphaeren

Titel: Die Sphaeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Banks
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Weile standen sie dort. Es musste ein Geländer gegeben haben, durch das Djan sah oder auf das sie kletterte. Vielleicht hatte Mrs. M sie hochgehoben. Sie entsann sich daran, dass sie alle nass geworden waren. Gischt und Dunst stiegen auf, bildeten dichte Wolken, die der kühle Wind zu ihnen trug.
    Es dauerte eine Weile, bis Djan Seriy begriff: Die großen Blöcke und Beulen in der nassen Landschaft unter dem Wasserfall
waren gigantische Gebäude. Als sie richtig hinsah und bald wusste, worauf es zu achten galt, bemerkte sie sie überall: schief und gebrochen bei den seegroßen Wasserbecken, wie zusammengewürfelt im Dunst stromabwärts, wie Knochen, die aus der dunklen Wand des stürzenden Wassers ragten und weiter unten aus dem grauen Spritzwasser, das aufstieg und dabei weiß wurde, das immer höher kletterte, bis es sich in Wolken und den Himmel selbst verwandelte.
    Damals hatte sie sich Sorgen um die Bewohner der Stadt gemacht und gedacht, dass sie bestimmt nass wurden. Etwas später, als die anderen ihr sagten, dass es Zeit wurde zu gehen, als sie versuchten, ihre Finger vom Geländer zu lösen, sah sie die Leute. Sie waren fast unsichtbar, die meiste Zeit über im Dunst verborgen; zu sehen waren sie nur, wenn kurze Lücken in den Wänden und Dächern aus Gischt entstanden. Das menschliche Auge konnte sie gerade noch erkennen: In dem vom Wasserfall allem anderen aufgezwungenen Maßstab waren sie winzig, klein wie Punkte ohne Gliedmaßen, nur deshalb vielleicht und wahrscheinlich Menschen, weil sie nichts anderes sein konnten und sich bewegten, weil sie dünne, mikroskopische Hängebrücken überquerten und über Linien krochen, die Pfade sein mussten, weil sie Gruppen bildeten bei Miniaturdocks, wo klitzekleine Boote und Schiffe auf wie hektisch rollenden Wellen tanzten.
    Und natürlich waren dies nicht die Leute, die die große Stadt gebaut oder in ihr gelebt hatten, in den Gebäuden, die das stürzende Wasser der stetig zurückweichenden Fälle aus dem Gestein wusch. Es waren nur einige von Zehntausenden oder vielleicht Hunderttausenden von Plünderern, Gräbern, Kletterern, Brechern, Tunnelbauern, Brückenbauern, Eisenbahnarbeitern,
Pfadfindern, Kartografen, Kranführern, Windendrehern, Fischern, Schiffern, Versorgern, autorisierten Ausgrabungsleuten, Forschern, Historikern, Archäologen, Technikern und Wissenschaftlern, die zu den neuen Bewohnern dieser sich ständig verändernden Ruine aus zerrissenen Sedimenten, gefallenen Felsen, stürzendem Wasser und freigelegter Monumentalität geworden waren.
    Sie mussten Djans Finger einen nach dem anderen vom Geländer lösen. Mrs. M schalt sie. Djan Seriy hörte es nicht, sah sie nicht an, scherte sich nicht darum. Der Blick ihrer weit aufgerissenen Augen blieb auf die fernen Punkte gerichtet, die Menschen waren, sie widmete ihnen die volle Aufmerksamkeit ihres kleinen Selbst – sie vergeudete keine Kraft, Widerstand zu leisten oder zu protestieren -, bis ein verärgerter Wächter sie sich schließlich über die Schulter legte und mit ihr fortstapfte, gefolgt von Mrs. M, die ihr mit dem Zeigefinger drohte. Djan achtete nicht darauf und hörte ihre Worte nicht. An Mrs. Machasa vorbei sah sie zum Wasserfall, dankbar dafür, dass sie mit dem Kopf nach hinten auf der Schulter des Wächters lag und den Katarakt von Hyeng-zhar so lange wie möglich sehen konnte, bis er hinter dem Rand des Abgrunds verschwand und nur die Türme, Wände und Klippen aus Gischt, Dunst und Wolken blieben, die den halben Himmel füllten.
     
    Der Hyeng-zhar-Katarakt leitete das Wasser eines Meeres in ein anderes, und zwar durch einen Fluss, der zweitausend Kilometer lang und an manchen Stellen so breit war, dass man das gegenüberliegende Ufer nicht sehen konnte. Der Sulpitin, so der Name des Flusses, strömte in langen Schleifen
durch eine weite Ebene, bis er die von ihm selbst geschaffene Schlucht erreichte, wo seine Fluten zweihundert Meter in die Tiefe stürzten, über eine Serie von Terrassen, die wie eine fraktale Serie von Wasserfällen wirkten und sich immer weiter ins Land fraßen. Hunderte von u-förmigen Kaskaden strömten in eine Folge von riesigen Löchern, die wie zerbrochene Tassen aussahen und ihrerseits zur größeren Komplexität des weiten Bogens der stetig wachsenden Schlucht gehörten.
    Der Katarakt war einst Teil der Küste des Unteren Sulpinmeers gewesen – die übrig gebliebenen Klippen zogen sich noch immer an einem Viertel der Küste entlang -, aber er war schnell

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