Die Sphaeren
angezüchtet. Soweit Ferbin wusste, war nie ein Caude darauf abgerichtet worden, nur einen bestimmten Reiter zu tragen. Er klopfte dem Tier an die Schnauze, sortierte die Zügel und brachte es mit Tritten in die Seite dazu, die langen Beine zu strecken und seine Flügel mit einem trockenen Knistern halb zu entfalten. Plötzlich befand er sich ein ganzes Stück über den verblüfften und schockierten Gelehrten.
»Bereit?«, rief Holse.
»Bereit!«, antwortete Ferbin.
Sie trieben die Caude zum Rand des Daches. Die Tiere sprangen auf die Brüstung, und nur einen Augenblick später, als Stimmen aus dem Treppenhaus erklangen, stießen sie sich ab. Ferbin schrie, zur einen Hälfte aus Furcht und zur anderen vor Aufregung, als sich die großen Schwingen mit einem dumpfen Knall öffneten und der Caude in Richtung Hof fiel, sechs Stockwerke unter ihnen, und die Luft an seinen Ohren vorbeifauchte. Der Caude beendete den Sturzflug und änderte den Kurs, was für Ferbin bedeutete, dass er tief in den Sattel gedrückt wurde. Der Wind heulte um ihn herum, und er erhaschte einen Blick auf Holse an seiner Seite. Dessen Gesicht war grimmig, und er hatte die Hände fest
um die Zügel geschlossen, als die beiden Caude in den horizontalen Flug übergingen und zum ersten Mal mit den großen Flügeln schlugen. Ferne knallende Geräusche hinter ihnen mochten Schüsse sein. Ferbin hörte, wie etwas an ihm vorbeischwirrte, aber einen Moment später waren sie weit genug vom Haus des Wissens entfernt und flogen über Felder und Bäche hinweg.
7
Empfang
D er Empfang fand in einem großen Salon des Palastes statt, nach der Bestattung des Königs im Familienmausoleum der Hausk, das sich ein ganzes Stück außerhalb der Fernpol-Seite der Stadtmauern befand. Seit dem Morgen hatte es geregnet, und jenseits der hohen Fenster des großen Raums war der Tag noch immer dunkel. Hunderte von Kerzen brannten an Spiegelwänden. Der König hatte vor einiger Zeit Lampen installieren lassen, die Lampenstein verbrauchten, und andere, die Elektrizität für Licht verwendeten, aber beide hatten sich im Betrieb als problematisch erwiesen, und Oramen war froh, die Kerzen zu sehen. Sie gaben ein sanfteres, weicheres Licht, und es fehlte der Gestank von giftigen Gasen, der oft von Lampen ausging.
»Fanthile!«, sagte Oramen, als er den Palastsekretär sah. »Sir.« Fanthile trug seine feierlichste Hofkleidung, den
Umständen entsprechend rot abgesetzt, und er verbeugte sich tief vor dem Prinzen. »Dies ist der traurigste aller Tage, Sir. Wir können nur hoffen, dass er dieser traurigsten aller Zeiten ein Ende setzt.«
»Mein Vater hätte es nicht anders gewollt.« Hinter Fanthile bemerkte Oramen zwei Assistenten des Palastsekretärs. Sie traten fast von einem Bein aufs andere, wie Kinder, die auf die Toilette mussten. Er lächelte. »Ich glaube, Sie werden gebraucht, Fanthile.«
»Mit Ihrer Erlaubnis, Sir.«
»Natürlich«, sagte Oramen und entließ Fanthile, damit er sich um die Dinge kümmern konnte, die seine Aufmerksamkeit erforderten. Vermutlich gab es viel für ihn zu tun. Oramen hingegen begnügte sich damit, einfach nur dazustehen und zu beobachten.
Er gewann den Eindruck, dass Erleichterung die Atmosphäre in dem großen Raum prägte. Er hatte erst vor kurzer Zeit einen Sinn für solche Dinge entwickelt. Erstaunlicherweise war es etwas, das Ferbin ihn gelehrt hatte. Vorher hatte Oramen Gespräche über etwas so Abstraktes wie die »Atmosphäre« von Räumen für unwichtig gehalten; die Bediensteten sprachen manchmal darüber, in Ermangelung interessanterer Themen. Inzwischen wusste er es besser, und indem er seine eigene Stimmung ergründete, konnte er versuchen, den emotionalen Tenor einer solchen Versammlung wahrzunehmen.
Im Lauf der Jahre hatte Oramen viel von seinem älteren Bruder gelernt, vor allem Dinge in der Art von: wie man sich verhielt, um zu vermeiden, dass man Prügel bekam, Lehrer sich die Haare rauften, empörte Kreditgeber vom Vater Geld
für die Bezahlung von Spielschulden verlangten, zornige Väter und Ehemänner Genugtuung forderten, und so weiter. Doch in diesem Fall hatte Ferbin seinem jüngeren Bruder tatsächlich etwas beibringen können, anstatt sich darauf zu beschränken, ein abschreckendes schlechtes Beispiel zu geben.
Ferbin hatte Oramen gelehrt, in solchen Situationen den eigenen Gefühlen zu lauschen. Das war gar nicht so einfach gewesen. In komplexen gesellschaftlichen Situationen hatte sich Oramen oft
Weitere Kostenlose Bücher