Die Sphaeren
gehalten.«
»Nein, Sir, das soll es nicht heißen. Wie dem auch sei, ich habe das eigentliche Ende nicht beobachtet.« Werreber
zögerte und schien nicht zu wissen, wie er sich ausdrücken sollte. »Ihr Vater war der tapferste Mann, den ich je gekannt habe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dem Tod anders begegnete als mit der festen Unerschütterlichkeit, mit der er im Leben allen Gefahren standhielt. Außerdem verweilte er nie lange bei Vergangenem. Selbst wenn er einen Fehler gemacht hatte: Er zog die Lehren daraus und ließ es dabei bewenden. Wir sollten uns ein Beispiel an ihm nehmen und den Blick in die Zukunft richten. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, Sir … Ich glaube, ich werde im Hauptquartier gebraucht. Es gibt noch viel zu planen.«
»Natürlich, Werreber«, sagte Oramen und nahm einen Schluck von seinem Getränk. »Ich wollte Sie nicht aufhalten oder über Gebühr irgendeine Wunde berühren.«
»Sir.« Der Feldmarschall verbeugte sich und ging fort.
Oramen glaubte sich privilegiert, weil Werreber so ausführlich mit ihm gesprochen hatte, obwohl er als ein Mann weniger Worte galt. Diese Beschreibung passte nicht auf den Gepriesenen Chasque, die nächste Person, an die er sich auf der Suche nach Informationen über den Tod seines Vaters wandte. Der Gepriesene war rundlich, und der weite dunkelrote Umhang schien ihm noch mehr Masse zu geben. Wortgewaltig ließ er sich über seine eigene Rolle in der Todesbettszene aus und behauptete, seine Augen wären zu sehr voller Tränen gewesen und die Ohren zu sehr gefüllt mit den Klagen der übrigen Anwesenden, als dass er sich an Einzelheiten erinnern könnte.
»Und machen Ihre Studien Fortschritte, junger Prinz?«, fragte der Gepriesene, und es klang so, als kehrte er zu wichtigeren
Angelegenheiten zurück. »Na? Schlürfen Sie auch weiterhin von der Quelle des Wissens? Hmm?«
Oramen lächelte. Er war daran gewöhnt, dass Erwachsene nach seinen Lieblingsfächern fragten, wenn ihnen der Gesprächsstoff ausging oder sie ein unangenehmes Thema verlassen wollten. Er gab eine oberflächliche Antwort und floh.
»Es heißt, die Toten sehen uns aus Spiegeln an. Was meinen Sie, Gillews?«
Der königliche Arzt drehte sich langsam und überrascht um, taumelte dann und wäre fast gefallen. »Was … oh, Sie sind’s, Prinz Oramen.«
Der Arzt war ein kleiner, angespannt und nervös wirkender Mann in seinen besten Jahren. Er schien voller Energie zu stecken – und auch voller Alkohol, wie sein Torkeln und die glasigen Augen verrieten. Er hatte sein Abbild in einem der Spiegel betrachtet, die die Hälfte der Wände des Salons einnahmen. Oramen war auf der Suche nach ihm durch die Menge gewandert, hatte Beileidsbekundungen entgegengenommen, mit ernsten Höflichkeitsfloskeln geantwortet und versucht, gleichzeitig kummervoll, tapfer, ruhig und würdevoll zu wirken.
»Haben Sie meinen Vater gesehen, Gillews?«, fragte Oramen und deutete zum Spiegel. »War er dort drin und beobachtete uns?«
»Wie bitte?«, fragte der Arzt, dessen Atem nach Wein roch. Ein oder zwei Sekunden später begriff er, was vor sich ging, drehte sich um, schwankte erneut und sah in den Spiegel. »Was? Die Toten? Nein, ich sehe niemanden und habe niemanden gesehen. Nein, Prinz, nein.«
»Der Tod meines Vaters muss Sie sehr getroffen haben, guter Doktor.«
»Wie könnte es anders sein?«, fragte der kleine Mann. Er trug die Scheitelkappe eines Mediziners, aber sie war zur einen Seite und auch nach vorn gerutscht, schien sich nun übers rechte Auge schieben zu wollen. Gillews sah in sein fast leeres Glas und wiederholte: »Wie könnte es anders sein?«
»Ich bin froh, dass ich Sie gefunden haben, Gillews«, sagte Oramen. »Ich habe mit Ihnen reden wollen, seit mein Vater getötet wurde.«
Der Arzt schloss ein Auge und sah ihn mit dem anderen an. »Hä?«, fragte er.
Oramen war an betrunkene Erwachsene in seiner Umgebung gewöhnt. Er selbst fand keinen Gefallen daran zu trinken – es erschien ihm seltsam, mit solcher Hingabe einen Zustand anzustreben, in dem einem schwindelig und schlecht wurde -, aber er war gern mit Betrunkenen zusammen, denn dabei verrieten sie oft ihre wahre Natur, die sie sonst verbargen, oder sprachen von Dingen, über die sie nüchtern geschwiegen hätten. Er vermutete bereits, dass er Gillews zu spät entdeckt hatte, wollte aber trotzdem einen Versuch wagen. »Sie waren natürlich dabei, als mein Vater starb.«
»Es war ein ganz
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