Die Spiele des Herrn (Johann Von Der Morgenpforte) (German Edition)
den nicht jemand anders schon gedacht hatte? Konnte er Gott mit seinen Gedanken aus der Reserve locken, ihn herausfordern? Wohl kaum. So menschlich dieser Gott in seinen Fehlern war, so menschlich musste er auch sein, wenn es darum ging zu lernen, abzustumpfen gegenüber bösen Worten. Johann seufzte. In dubio pro reo. In dubio pro deo. Im Zweifel für den Anklagten. Im Zweifel für Gott.
Was willst du von mir, Gott?
Johann dachte nach und für einen Moment freute er sich. Dieser Disput ließ ihn verbittern, aber jeder wütende Gedanke in ihm war Balsam für seine resignierende Seele. Es hielt seine Lebensgeister wach. Dann wurde es ihm klar. Gott musste sich gelangweilt haben. Er musste ein Gott sein, der auch sich selbst die Frage stellte, wo er her kam. Wer ihn geschaffen hatte. Und so musste Gott schließlich seine Schöpfung begonnen haben. Aus Aktionismus. Jeden Tag ein bisschen mehr. Aus Langeweile.
Schöpfen, was mir einfällt, schöpfen was mich unterhält und erfreut.
Aus Angst vor der Stille der Nichtgedanken um ihn herum. Bis es laut genug war und Gott eine Pause einlegte. Eine Pause, aber kein Ende. Gott überlies seine Schöpfung Mensch nicht sich selbst, um woanders neues zu schaffen. Das eigentliche, das göttliche Spiel konnte beginnen! Adam. Eva. Mal sehen, wie Adam auf Eva reagiert? Dann auf die Versuchung – Unterhaltung konnte so einfach sein. Dann auf den Verweis aus dem Paradies! Johann war sich nun sicher: Die Menschen waren Gottes liebstes Spielzeug. Er stellte dem Menschen eine Aufgabe und sah zu, wie er damit umging. Und er hauchte dem Menschen die gleichen Sehnsüchte ein, die auch er in sich trug. Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wo ist der Sinn? Und er schenkte dem Menschen die Fähigkeit zu denken. Oder war auch dies wie die vermeintliche Freiheit zu gehen und zu tun, was man wollte, ein Selbstbetrug? Johann stockte in den Gedanken. Dann durchfuhr in ein versöhnliches Gefühl. Er fühlte sich wie ein Kind, dass es gewohnt war, von den Eltern stets Vergebung für jedwede Verfehlung zu erfahren, sich nun aber mit einem groben Fehler der Eltern konfrontiert sah und zum ersten Mal selbst Vergebung und ein mildes Lächeln erübrigen musste. Te absolvo. Ego te absolvo. Ich vergebe dir.
Johann lächelte. Seine Wut war verflogen. Alles wurde so klar.
Gott, ich verstehe deine Angst. Was sind wir ohne dich? Was bist du ohne uns? Was ist der Vater ohne den Sohn? Gott, ich weiß was du von mir willst. Und nun, da ich dein Geheimnis kenne, lass mich gehen. Entlasse mich in die Freiheit. Und wie der Zugvogel im Frühjahr nach dem harten Winter, werde ich stets in meinen Gedanken zu dir zurückkommen.
Johann machte Gott ein Versprechen. Es war ein Angebot. Keine Forderung. Nur der Wunsch eines einsamen Sohnes, der keine Angst mehr vor dem strengen Vater hatte. Dann dankte er Gott. Das erste Mal nicht in einem gelernten, gesprochenen Gebet, sondern in einem Gedanken, der aus der Tiefe seines Herzens kam. Er dankte für sein bisheriges Leben, für alle die schönen Momente. Die wichtigen Momente. Angefangen von jener eiskalten Dezembernacht, in der man ihn am Osttor der Raffenburg aussetze und Gott seine schützende und wärmende Hand über ihn hielt, über jenen Tag auf der Fühlinger Heide, an dem Gott ihn trotz seiner tiefen Wunde nicht ins Jenseits gerufen hatte, bis zu diesem heutigen Tag, an dem er nun in diesem Kerker saß. Auch wenn es finster um ihn herum war, so lebte er! Und was sonst zählte außer diesem Geschenk Gottes, dem Leben, an sich?
Dann schreckte er zusammen. Ein Geräusch ließ ihn aufhorchen. Es war wieder da. Erst das Brummen, wie der Ton eines verwundeten Bären, dann das Platschen auf dem unter Wasser stehenden Boden. Johanns Herz hämmerte. Er versuchte, die Luft anzuhalten. Bloß kein Geräusch verursachen. Beim ersten Mal, als er das Geräusch gehört hatte, hatte er sich gefürchtet, dass ein wildes Tier in dieser Grube schlief oder auf ihn lauerte, dass ein Dämon dieses Loch als Tor zur Hölle nutzte. Beides führte zu Bildern in seinem Kopf, auf denen Wesen mit langen Klauen und scharfen Hauern ihn zerrissen. Dann hatte er die Gedanken verworfen. Es war lange still gewesen. Schließlich hatte Johann schon daran gezweifelt, ob er überhaupt etwas gehört hatte. Nun war es wieder da und Johann wusste: Er war nicht allein hier unten.
23. September 1288
Eberhard von der Mark saß auf seinem Pferd, drei Schritte vor dem Graben der Isenburg und
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