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Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Titel: Die Spieluhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tukur
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Es waren höhere Offiziere, und an den Schulterklappen und dem roten Kragenspiegel erkannte ich, daß der älteste unter ihnen ein General war.
    Die Männer wirkten äußerst angespannt, und der General sprach ein paar Worte, die ich nicht verstand, während die beiden anderen betreten zu Boden blickten.
    Eine Weile lang geschah nichts.
    Sie standen schweigend da, dann schüttelten sie sich die Hände.
    Der General zog seine Mütze vom Kopf, überreichte sie einem von ihnen, grüßte militärisch knapp und lief dicht an mir vorbei ins Feld hinein, das von hohem Gras bestanden war.
    Nun ging alles sehr schnell, und ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, ob ich Zeuge einer phantastischen Inszenierung oder eines wirklichen Vorgangs war.
    Es schien verrückt, und doch spürte ich sehr real, wie mir das Herz bis zum Halse schlug.
    Vorsichtig richtete ich mich auf, aber so, daß man mich nicht sehen konnte.
    Der General war etwa zehn Meter von mir entfernt stehengeblieben und hatte sich ins Gras gekniet. Er hielt eine Pistole in der Hand und starrte hinaus ins Land auf einen Punkt, der in dieser Welt gewiß nicht existierte. Dann führte er die Waffe zum Kopf und setzte sie an die Schläfe. Seine Hand zitterte, und seine Augen waren geschlossen.
    In dieser Haltung verharrte er. Er sprach leise, murmelte unverständliche Worte als betete er, öffnete kurz die Augen, und ich sah, daß er weinte.
    Dann fiel ein Schuß. Nicht sehr laut, abgedämpft von der robusten Substanz des Schädels. Der Kopf kippte nach vorn, und er fiel seitlich ins Gras.
    Ich sprang auf und sah, daß ihm Blut aus Mund und Nase schoß. Ein rotes Rinnsal lief aus einem kleinen Loch an der rechten Schläfe.
    Er stöhnte, und seine Arme und Beine zuckten, als hätte ihn ein Anfall umgeworfen.
    In der Absicht, sich zu töten, mußte er den Schuß falsch angebracht haben und hatte sich dabei nur schwer verletzt.
    Auf einmal packte mich jemand von hinten und stieß mich hart zur Seite.
    Es war einer der beiden Offiziere, dem ich wohl im Wege gestanden war und der mich jetzt für eine Sekunde ungläubig anstarrte. Dann stürzte er weiter auf den Schwerverletzten zu, kniete sich neben ihn hin, nahm seinen Kopf in die Hände, fühlte den Puls und blickte hilflos und verzweifelt zu seinem Kameraden.
    Der kam herbeigerannt und dann noch ein weiterer, der wohl aus dem hinteren Fahrzeug gestiegen war. Zu dritt hoben sie den stöhnenden Mann vom Boden auf und trugen ihn zurück zur Straße. Die hintere Tür des Horch wurde aufgerissen, sie wuchteten ihn auf die Rückbank, wechselten erregt ein paar Worte, dann schlossen sie die Türen und fuhren in hohem Tempo davon.
    DER SCHWARZE MERCEDES stand jetzt allein auf dem erhitzten Sträßchen, und die Sonne spiegelte sich friedlich in seinem glänzenden Lack.
    »Was in aller Welt machen Sie hier, Wilhelm? Haben Sie nicht gehört, was passiert ist?
    Kommen Sie, steigen Sie ein, wir fahren ins Schloß. Sie können nicht mehr zurück nach Paris!«
    Der Offizier, der neben den Mercedes trat und den Rang eines Majors bekleidete, war hochgewachsen und hatte ein offenes, angenehm geschnittenes Gesicht. Die Uniform, maßgeschneidert, saß perfekt, die Mütze hatte er leicht auf die Seite gedrückt. Offensichtlich hielt er mich für eine Person, die er gut kannte.
    Ich beschloß abzuwarten. Was sollte ich auch sonst tun? Ich konnte ohnehin nichts ändern, war Spielball eines Vorgangs, den ich nicht verstand und auf den ich nicht den geringsten Einfluß hatte.
    »SCHLIMMER HÄTTE ES NICHT kommen können«, sagte der Major, als ich neben ihm im weichen Ledersitz des Autos Platz nahm.
    Er zündete sich eine Zigarette an, zog den Rauch tief in die Lunge und blies ihn gegen die Windschutzscheibe, wo er sich zerfasernd das Fensterglas entlangstrich.
    »Der arme Mensch! Eine Katastrophe jagt die nächste! Wenn er durchkommt, werden sie ihn hängen. Es wäre besser gewesen, wir hätten seine Entscheidung respektiert und vollendet, was er nicht schaffte …«
    Um irgend etwas zu sagen, bestätigte ich seine Ansicht, fügte aber hinzu, ich hielte die Schußverletzung für so gravierend, daß er die nächsten Stunden bestimmt nicht überleben würde.
    Er sah mich kurz mit zusammengezogenen Brauen an und nahm einen weiteren Zug aus seiner Zigarette.
    »Sie sollten sich auch aus dem Staub machen, Wilhelm! Fahren Sie bloß nicht in Ihr Amt zurück, da werden die Henker auch nach Ihnen suchen, setzen Sie sich in den Süden ab, oder

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