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Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Titel: Die Spieluhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tukur
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ein Dachs und ein kleiner Fuchs, die schnell im hinteren Teil des Raums verschwanden.
    Auerhähne, Falken, Schleiereulen und Birkhühner rissen sich von ihren Holzbrettchen und Ästen los, auf die man sie vor Zeiten befestigt hatte, flatterten kreischend von der Wand und schlugen erschreckt mit ihren Flügeln, daß die Federn nur so durch den Raum wirbelten.
    Ich suchte diesem animierten Tohuwabohu zu entkommen, das innerhalb kürzester Zeit entstanden war, fand den Ausgang nach draußen aber seltsamerweise verschlossen und lief nun einigermaßen panisch durch die Türe neben dem Kamin in einen dunklen Gang hinein, an dessen Ende eine steinerne Wendeltreppe in die oberen Stockwerke führte.
    Eine Weile noch hörte ich das Gekreische und Gefauche aus dem Gewölbekeller – fast klang es, als fielen die Tiere dort unten übereinander her –, aber indem ich die Treppe höher stieg, wurde der Lärm leiser, bis er schließlich ganz verstummte.
    Ich mußte mich im Hauptturm befinden, denn plötzlich sah ich rechts von mir eine Schießscharte, die in eine Nische eingelassen war und einen schmalen Streifen Tageslicht ins Innere ließ. In diesen Lichtstrahl setzte ich mich hinein, um durchzuatmen und zu überlegen, was ich tun sollte.
    Ich betrachtete meine Hände, sie waren rot und zitterten vor Aufregung.
    Daß ich nicht in Panik ausbrach, war, glaube ich, dem Umstand zu verdanken, daß ich das Gefühl hatte, dieser sonderbaren Kette von Ereignissen wohne ein tieferer Sinn inne, der sich mir am Ende enthüllen würde, um im nachhinein alles klar, logisch und verständlich erscheinen zu lassen.
    Im Augenblick aber kamen mir die Dinge verworren und sinnlos vor, und wie in einem Traum, der seine eigenen, unergründlichen Wege beschreitet, würde es nur schlimmer, wollte man ordnend in die Geschehnisse eingreifen.
    Ich beruhigte mich allmählich und beschloß, einfach abzuwarten, denn bislang hatte doch immer eines das andere ergeben, auch wenn jeder neue Schritt, den ich machte oder zu machen gezwungen war, voll bedrohlicher Überraschungen steckte.
    ACH, ES WAR MUSIK Aus einer anderen Welt, die plötzlich an mein Ohr drang!
    Ohne es zu merken, war ich aufgestanden und lauschte den glasfeinen Tönen und perlenden Glissandi eines Cembalos oder Spinetts, die wie ein kühler, belebender Lufthauch durch das stickige Treppenhaus des Wehrturms strichen.
    Ich stieg die Wendeltreppe weiter hinauf, gezogen von einer Kraft, die keinen Widerstand zuließ, bis ich schließlich vor einer Türe stand, die links vom Treppenhaus abging.
    Als ich sie öffnen wollte, fuhr ich erschreckt zurück.
    Auf der Schwelle, erfaßt vom unteren Ende eines Lichtstrahls, der durch einen der seitlichen Mauerschlitze fiel, lag die kleine Bekassine in ihrem Blut. Ihr Kopf war abgebissen. Der braungefiederte Körper lag auf dem Rücken, die Beinchen waren abgespreizt, und die etwas hellere Brust zeigte nach oben.
    Ich stieg über den toten Vogel hinweg, stieß die Türe auf und stand in einem Korridor, dessen linke Seite von einer Flucht hoher Fenster gesäumt war. Er schien endlos lang, und trotz des einfallenden Tageslichts verlor er sich an seinem Ende im Dunkeln.
    Da war sie, die Musik!
    Zwei Cembali, so schien es mir, erklangen aus einem der Säle, die weiter hinten am Korridor lagen – und mit welcher Meisterschaft sie gespielt wurden! Das eine setzte im Baß einen markanten, treibenden Rhythmus, während das andere, ein Thema des ersten aufnehmend, nach oben hin ausbrach und im Diskant mit schnellen, quecksilbrigen Läufen und Fiorituren triumphierte.
    In immer neuen Variationen blitzte dieses Thema auf, flog von Instrument zu Instrument, änderte die Tonart, modulierte sich nach Moll und brach schließlich mit einem in die Tiefe stürzenden Glissando abrupt ab, als würde einer munter in den Himmel schießenden Fontäne plötzlich das Wasser abgedreht.
    EINEN AUGENBLICK LANG herrschte angespannte Stille, ein Stuhl wurde gerückt, und ich vernahm deutlich das helle Lachen eines Kindes.
    Dann war es wieder still.
    Und in diese Stille hinein begann erneut eines der beiden Cembali, setzte behutsam Ton an Ton, und wie aus kunstvoll aufgetragenen Farbtupfern unvermittelt die Umrisse eines Gesichts, einer Blume oder Landschaft hervortreten, formte sich eine Melodie, klar, empfindsam und mir so vertraut, als hätte sie schon immer im Verborgenen geklungen und war nun unversehens an die Ohren der Welt getreten.
    Indem ich nun ganz verzückt dieser Musik

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