Die Spinne (German Edition)
umgebracht. Ich bin nur da, um Ihre Informationen weiterzugeben.«
Das reichte als Antwort. Der Mann arbeitete sicher für Xin Zhu. »Haben Sie eine Nachricht für mich?«
»Nur die Bitte, die Finger von unschuldigen Menschen wie mir zu lassen.«
»Richten Sie ihm aus«, erwiderte Milo, »dass ich heute Nacht jemanden treffe. Wen, weiß ich nicht.«
Kurzes Schweigen. »Darf ich fragen, wann Sie es wissen?«
»Nach dem Treffen.«
»Natürlich.« Pause. »Ach, fast hätte ich es vergessen. Ich soll Ihnen eine Frage stellen.«
»Ja?«
»Was war das für ein Zettel auf dem Frankfurter Flughafen?«
»Welcher Zettel?«
»Keine Ahnung. Aber so lautet die Frage.«
Milo atmete ungewollt laut. »Sagen Sie ihm, er kriegt seine Antwort, sobald ich mit Tina gesprochen habe.«
»Tina?«
»Er weiß, wen ich meine. Bestellen Sie ihm, dass ich verlange, in den nächsten vierundzwanzig Stunden mit ihr zu sprechen.«
»Mit dieser Tina.«
»Genau.«
Milo hörte das Kritzeln eines Stifts auf Papier. Schließlich fragte der Mann: »Ist das ein Ultimatum?«
»Ja.«
»Und was passiert dann? Wenn es nicht gemacht wird, dann …?«
»Das weiß ich jetzt noch nicht, aber ich habe eine reiche Fantasie.«
Kritzeln. »Ist das alles? Ich war auf einen längeren Bericht gefasst.«
»Tut mir leid, dass ich Sie enttäuschen muss. Sagen Sie ihm, dass man mir noch nicht vertraut.«
Der Mann blieb stumm, und Milo wartete auf weiteres Gekritzel, doch er betätigte nur die Spülung und verließ die Toilette.
Als Milo kurz darauf hinauf zur Poolbar ging, spürte er, wie das Adderall sein Blut in Wallung brachte und seinen Blick schärfte. Die frische Seeluft wirkte zusätzlich belebend. Er ließ sich auf einem Sessel abseits vom Pool nieder und bestellte Apfelsaft bei einem Kellner. Es war schon nach halb elf, und die Terrasse war nur dünn besetzt. Die meisten Gäste speisten entweder spät zu Abend oder hatten sich schon zurückgezogen. Deshalb fiel das europäische Paar auf, als es ankam. Er bemerkte, wie sie miteinander flüsterten und zur anderen Seite des Pools gingen, um nach einem kurzen Gespräch mit dem Kellner Platz zu nehmen. Die große blonde Frau trug ein Abendkleid und hatte sich zum Schutz vor der nächtlichen Brise ein Tuch um die nackten Schulter geschlungen. Der etwas kleinere dunkelhaarige Mann, der in einem legeren Anzug und Freizeitschuhen steckte, gab gar nicht erst vor, Milo nicht zu kennen, und beobachtete ihn genau, als er eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche nahm und sich eine anzündete. Inzwischen tippte die Frau angestrengt auf ihrem BlackBerry. Schließlich schickte sie ihre Botschaft ab und legte das Telefon neben sich auf die Fliesen.
Er hatte es geschafft, hatte ein gewisses Maß an Kontrolle gewonnen, und dieser kleine Sieg stimmte ihn zufrieden. Er dachte an Alan, der ebenfalls unter Xin Zhus Joch gestanden und zu rauchen angefangen hatte, um die Kontrolle zurückzuerlangen. Das erinnerte ihn daran, dass er schon seit mehr als einem Tag kein Nicorette mehr genommen hatte, ohne irgendwelche Entzugserscheinungen zu spüren. Auch das war ein Stück Kontrolle.
Als er gerade aufstehen wollte, um die Toilette zum nächsten Treffen aufzusuchen, beugte sich Leticia über ihn, um ihn auf die Wange zu küssen. Sie trug ein langes Sommerkleid und flache Schuhe, dazu eine Umhängetasche aus schwarzem Stoff. Er war neidisch, denn seine Kleider fühlten sich steif und unsauber an. »Du hast eine herrliche Dusche verpasst«, bemerkte sie.
Er bot ihr sein Glas Apfelsaft an. Sie nahm einen Schluck aus dem geneigten Glas, das er ihr mit amphetaminzittriger Hand hinhielt. Sie richtete sich wieder auf und leckte sich über die Lippen. »Wir hätten sowieso höchstens Zeit für einen Quickie gehabt. Komm, gehen wir runter zum Wasser.«
Er nahm ihre ausgestreckte Hand und erhob sich aus dem Sessel. Zusammen verließen sie die Terrasse, und sie schlang ihm den Arm um die Schulter, um ihn an sich zu ziehen. »Hast du sie gesehen?«
»Ja.«
»Bloß gut, dass ich nicht weiß, was Angst bedeutet.«
Auf dem Weg aus dem Hotel verschwand sie kurz in der Lobby-Toilette und tauchte in eine lange Abaya und einen Hidschab gehüllt wieder auf, ganz in Schwarz. Sie zwinkerte ihm zu. Zusammen schlenderten sie hinunter zum Strand und dann nach Norden, vorbei an Paaren und Gruppen junger Männer, die in ihren Roben im Sand saßen, auf die hohe, von der Mondsichel beherrschte Lichterkuppel zu. Doch sie blieben an Land. Leticia
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