Die Spinne (German Edition)
Uiguren gesprochen, und die waren nicht interessiert. Nach Alans Verschwinden habe ich mich mit den Tibetern getroffen – sie wollten mir nicht mal zuhören. Hoffentlich haben die anderen mehr Glück.«
»Du meinst die zwei anderen Touristen.«
»Einer.«
»Was?«
Sie seufzte laut. »In Frankfurt hab ich es erfahren. Tran Hoang ist von der Bildfläche verschwunden, in Südkorea. Wahrscheinlich hat es ihn erwischt. Die Sache ist wirklich ernst, Baby.«
Sie lehnte sich zurück auf die gestreckten Arme, und Fekry warf den Motor an. Milo fand ihren Mangel an Zuversicht beunruhigend, und er musste an seinen eigenen irrationalen Optimismus denken, der ihm sagte, dass er die Oberhand gewinnen und alles zum Guten lenken konnte. Als Tourist hatte Milo einmal geglaubt, dass es nur eine Möglichkeit gab, mit dem Scheitern umzugehen: Man behandelte es wie einen Erfolg. Für Touristen sind Erfolg und Misserfolg das Gleiche.
Als sie zurück zur Küste steuerten, brandeten über das Wasser seltsam eindringliche Laute heran, die vom Tuckern des Motors immer wieder übertönt wurden.
Leticia schaute auf ihre goldene Armbanduhr. »Vier Uhr vierzehn. Hedschragebete.«
Er war kein Tourist mehr, und er hatte keinen Grund für die Hoffnung, dass er in dieser Sache die Oberhand behalten konnte.
15
Leticia weckte ihn kurz nach Mittag mit einem Kuss auf die Nase, und schon wieder schwebten Gebetsrufe durch das offene Fenster. Nachdem er sich geduscht hatte, präsentierte sie ihm seine neue Kleidung. Nach drei Stunden Schlaf war sie zur Tahlia Street losgezogen und hatte dort einen leichten Anzug von Ralph Lauren mit einer grünen Seidenkrawatte gefunden. Als er angezogen war, bearbeitete sie sein Haar mit einem Hotelkamm. »Dieses Grau sollten wir wegmachen«, bemerkte sie pingelig.
»Ich mag mein Grau.«
Sie trat zurück, um sein Äußeres zu beurteilen. »Es heißt doch immer, dass graue Schläfen einem Mann gut stehen. Aber das trifft nur auf manche Männer zu. Bei dir sieht es einfach alt aus.«
»Ich bin erst achtunddreißig, Leticia.«
»Umso trauriger.«
Dann führte sie ihre eigenen Einkäufe vor: ein schwarzes, ärmelloses Pradakleid mit tiefer Taille, das viel Schenkel freiließ, und bis knapp unter die Knie reichende Lederstiefel. Er fragte sich, wo sie das Geld herhatte. Gehörten diese unerschöpflichen Touristenkreditkarten nicht der Vergangenheit an?
Doch das spielte keine Rolle. All diese Leute spielten keine Rolle mehr. Er hatte eine Nacht lang Zeit gehabt, um über alles nachzudenken und das wahre Ausmaß seiner Ohnmacht zu erfassen. Und er war zu einer Entscheidung gelangt. Sobald er mit den Deutschen geredet hatte, war die Sache für ihn erledigt, und Alan Drummond, Xin Zhu, Nathan Irwin und auch Leticia Jones konnten zur Hölle fahren.
»Und?«, fragte Leticia.
»Wirklich hübsch.«
»Wir haben noch Zeit, weißt du.«
Milo ließ es sich kurz durch den Kopf gehen, denn was hatten die alten Regeln jetzt noch zu bedeuten? Wenn man alle Brücken hinter sich abbricht, hat man nichts mehr zu verlieren, auch keinen Stolz. Schließlich zwinkerte er ihr zu und sammelte sein Geld zusammen. »Ich warte unten in der Lobby.«
»Keine Fragen?« Sie musterte ihn. »Willst du nicht wissen, wo es als Nächstes hingeht?«
»Irgendwann wirst du es mir schon sagen.« Er verließ das Zimmer.
Ihr Partner zeigte sich zwar nicht, doch die große Deutsche durchquerte kurz nach seiner Ankunft die Hotelhalle. Nach einem vielsagenden Blick in seine Richtung trat sie zu einer Zeile mit Haustelefonen und hob bei einem Apparat ab. Er folgte und griff nach dem übernächsten Telefon. Er legte den Hörer ans Ohr und hörte das Freizeichen, als sie sagte: »Treppe zum ersten Stock.« Sie hängte auf und verschwand.
Er folgte ihrer Anweisung und wartete in einem langen Korridor mit identischen Türen, bis sich auf halber Höhe eine öffnete, ohne dass sich jemand blicken ließ. Mit schnellen Schritten steuerte er darauf zu, weil Leticia sicher bald nach unten kommen würde, und drinnen entdeckte er den kleinen Mann mit Schnurrbart, der mit den Händen auf den Knien auf der Kante eines gemachten Betts saß. Es war Erika Schwartz’ Assistent, den Milo nur als Oskar kannte und der vor wenigen Monaten fröhlich mitgemischt hatte, als Milo gefoltert wurde. Milo zog die Tür hinter sich zu.
Oskar legte sofort los. »Sagen Sie mir einen Grund, warum ich hier sitzen und mit Ihnen reden sollte.«
»Ich weiß auch nicht, Oskar. Sie sind
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