Die Spinne (German Edition)
schüttelte den Kopf. »Hör zu, Milo, zerbrich dir nicht so viel den Kopf. Schlaf lieber noch ein bisschen.«
Zwei Pläne , dachte er, als sie den Kopfhörer wieder aufsetzte. Er wusste – oder vermutete –, dass sich Alans Plan um Rache drehte, während die Gruppe um Collingwood einen anderen Zweck verfolgte, der vielleicht in den Abgründen der Außenpolitik verborgen lag. Was Alan auch vorhatte, es war auf jeden Fall so problematisch, dass Collingwood eine weltweite Suchaktion nach ihm angeleiert hatte.
An diesem Punkt kam es auch darauf an, sich von seinen Vorurteilen zu verabschieden. Egal, wie durchgeknallt Alan war, Milo tendierte natürlich zu seiner Seite, denn auf der anderen Seite stand Irwin. Milo versuchte zwar, einen Bogen um Begriffe wie gut und böse zu machen, aber ihm war klar, dass er die beiden Lager ganz automatisch in diese Schubladen einsortierte. Und dann gab es auch noch Xin Zhu.
Das generelle Problem an der Entscheidung für eine dieser Seiten war, dass ihn dieser Kampf eigentlich nichts anging. Für ihn war nur wichtig, seine Frau und Tochter zurückzubekommen, und darauf musste er all seine Kräfte konzentrieren. Das bedeutete, dass er nicht mehr für den amerikanischen Staat arbeitete.
Auf jeden Fall brauche ich Hilfe , überlegte er, als er einen blauen Kugelschreiber mit dem Logo der Fluglinie in die Tasche gleiten ließ. Er saß zwischen den Stühlen, zwischen Chinesen und Amerikanern, und beide Seiten verfolgten ihre eigenen Interessen, die ihn letztlich mehr kosten konnten, als er aufs Spiel setzen wollte. Bisher hatte er zwei Leute um Hilfe gebeten, und beide Male hatte es nicht geklappt, doch das hieß nicht, dass er es nicht weiter versuchen konnte.
Auf dem Frankfurter Flughafen hielt er Ausschau nach Überwachungskameras, die leicht zu erkennen waren. Sie waren überall. Er und Leticia steuerten durch das Gedränge von Reisenden, die Taschen und Kinder hinter sich herschleppten, bis sie zwischen den Läden in der Haupthalle die Toiletten entdeckten, deren Eingänge jeweils von einer Kamera überwacht wurden.
»Beeil dich.« Mit dieser Aufforderung verschwand sie im Damen-WC.
Auf der Herrentoilette zog er den Kugelschreiber der Fluggesellschaft heraus und riss ein Papierhandtuch von der Rolle ab. Er drückte es flach an die Wand und schrieb nach kurzer Überlegung in großen, gut erkennbaren Blockbuchstaben:
An Erika Schwartz, BND :
Wir müssen reden. Bitte Abstand halten.
– JOHN NADLER
Mit der Nachricht in der Tasche trat er aus dem WC. Leticia war noch drinnen, und er wandte sich rasch mit dem auseinandergefalteten Zettel in der Hand dem Objektiv der Kamera über der Tür zu. Fünf gezählte Sekunden lang hielt er die Nachricht in die Luft, danach zerriss er sie erst in zwei, dann in vier Teile und kehrte zurück in die Toilette. Dort riss er weiter, bis nur noch winzige Fetzen übrig waren, die er hinunterspülte.
Es war Leticias Idee, dass sie in der Maschine nach Dschidda auf getrennten Plätzen saßen. »Sie hatten genug Zeit, einen Beobachter hierherzuschicken, wir sollten also lieber so tun, als wollten wir uns tarnen.« Doch während des fünfeinhalbstündigen Flugs sah keiner von beiden eine auffällige Person zwischen den Thawbs, weißen Kufiyas, schwarzen Abayas und Hidschabs. Um 20.00 Uhr landeten sie und verließen das Flugzeug in einigem Abstand voneinander. Nach einer reibungslosen Passkontrolle, bei der er sich als Tourist bezeichnete, entdeckte er Leticia, die am hell erleuchteten Ring der Al Madinah Al Munawwarah Road mit einem Limousinenchauffeur feilschte. Der Abend war warm und erfüllt vom Geruch des Roten Meeres.
Nach einer fünfzehnminütigen Fahrt durch eine nächtliche Stadtlandschaft aus arabisch und englisch gekennzeichneten Banken, Einkaufszentren und neuen, sauberen Hotels wurden sie von der Limousine am Hilton abgeliefert. Er bemerkte ein illuminiertes Plakat, das einen wohlwollend lächelnden Mann mit roter Kufiya, Schnauzer und breitem schwarzem Ziegenbart zeigte: König Abdullah ibn Abd al-Aziz, den Hüter der zwei Heiligen Stätten. An der Küste ragten die Hoteltürme auf, und dazwischen erspähte er strahlend beleuchtete Strandabschnitte. Dschidda war der größte Hafen am Roten Meer, von allen saudischen Städten die weltoffenste und das ganze Jahr über ein beliebter Urlaubs- und Tagungsort. Die Religionspolizei hatte hier kaum etwas zu melden, obwohl sie nach der Ankunft im Hilton die Abendgebete hörten, die in der Ferne
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