Die Spinne (German Edition)
doch derjenige, der hier sitzt.«
»Das hat meine Chefin entschieden. Seltsamerweise glaubt sie, dass sie Ihnen was schuldet.«
»Für die Zigarettenmale am Arm vielleicht?«
Oskar wischte sich über die Schnurrbartspitzen. »Nein, anscheinend für was anderes.« Dann stand er auf, doch der Versuch einer drohenden Haltung misslang ihm. »Sie hat Ihrem idiotischen Vater geholfen, und wir wären deswegen fast geschnappt worden.«
»Meinem Vater?«
Oskar starrte ihn an.
»Wann?«
Oskar zuckte die Achseln. »Er wollte Ihre Frau und Tochter in Sicherheit bringen und hat uns gebeten, ihm dabei zu helfen. Und wissen Sie was? Keine Frau und keine Tochter. Ich persönlich bin der Meinung, dass Sie Ihren Alten abgemurkst haben. Bin gespannt, ob Sie mich vom Gegenteil überzeugen können.«
Milo blinzelte verwirrt. Wenn das zutraf, handelte es sich um einen erstaunlichen Zufall. Sein Vater hatte sich ausgerechnet an die Frau gewandt, die auch er jetzt um Hilfe bat. Aber war das wirklich Zufall? Eher nicht. Das Auftauchen des Namens Sebastian Hall hatte Erika Schwartz sicher schon alarmiert und sie dazu veranlasst, mit Jewgeni zu sprechen. Wen hätte sein Vater denn sonst fragen sollen? Milo rieb sich übers Gesicht. »Die Chinesen haben sie. Meine Familie. Ein Oberst namens Xin Zhu.«
»Warum hat er sie entführt?«
»Er hat mich davor gewarnt«, antwortete Milo. »Es war mein Fehler. Ich dachte, ich kann ihn überlisten.«
Oskar nickte, als würde ihm die Erklärung einleuchten. »Aber Sie wollen doch sicher was von mir, sonst hätten Sie mich nicht hergeholt.«
»Suchen Sie meine Frau und Tochter. Und wenn Sie sie nicht finden, dann lassen Sie mich umbringen.«
Nach einem kurzen Stirnrunzeln lachte Oskar. »Umbringen?« Er legte die Hand vor den Mund und gestikulierte dann. »Wahnsinn! Ist heute mein Geburtstag?«
»Ich meine es ernst.«
Breit grinsend schüttelte Oskar den Kopf. »Das geht auf keinen Fall, Weaver, so gern ich persönlich auch abdrücken würde. Sie bringen uns garantiert nicht dazu, ins Killergeschäft einzusteigen. Da müssen Sie sich schon an den Mossad wenden. Oder von mir aus an die CIA .«
»Das ist sie mir schuldig.«
»Ich glaube nicht, dass sie Ihnen so viel schuldet, Weaver.«
»Sie verdankt mir ihren Job.«
Oskars Feixen verschwand. Nach dem Überfall auf das Kunstmuseum E. C. Bührle in Zürich hatte Milo zwei der gestohlenen Bilder Erika Schwartz überlassen, die sie in der Wohnung ihres Vorgängers versteckte. Natürlich wäre es einer drei Zentner schweren Frau schwergefallen, sich mit zwei großen Gemälden in eine Wohnung zu schleichen. Dazu hatte sie Hilfe benötigt – die Hilfe eines kleinen, wendigen Menschen wie Oskar.
»Es gibt da noch was, das Sie vielleicht nicht wissen, Weaver.« Oskar zögerte kurz. »An dem Abend, als Ihre Familie entführt wurde, wurde Ihr Nachbar in seiner Wohnung überfallen. Er wurde betäubt, gefesselt und geknebelt. Soweit wir das beurteilen können, hat er nichts gesehen, aber …«
Als ihm klar wurde, was diese Worte zu bedeuten hatten, machte Milo unwillkürlich einen Schritt zurück und stieß gegen eine Kommode. Raymond Lister, der Alkoholiker. »Tina und Stef waren dort.«
»Ja, Milo. Während Sie um Ihren Vater geweint haben, waren Ihre Frau und Tochter gleich nebenan. Man kann davon ausgehen, dass sie ebenfalls unter Drogen standen und deshalb nicht um Hilfe gerufen haben. Aber trotzdem …«
Blitzartig erinnerte sich Milo an die Nacht neben der Leiche seines Vaters und stellte sich in dem glühenden Wunsch, den Lauf der Ereignisse zu verändern, vor, wie er zu Raymond hinübermarschierte und mit brutaler Gewalt die Tür eintrat, hinter der …
»Und jetzt«, erklärte Oskar, »kommt die Überraschung.«
»Das war noch nicht alles?«, flüsterte Milo.
Oskar ging an ihm vorbei und öffnete die Tür zum Bad. Dort wartete offenbar jemand, den er ansprach. »Sie sind dran.« Dann wich er zurück.
Eine Frau trat heraus. Nicht Erika Schwartz, nicht Janet Simmons und auch nicht Tina Weaver. Sie war hochgewachsen und hatte eine lange Nase und dunkles Haar, das ihr bis über die Schultern reichte. Alles an ihr war lang, doch im Gegensatz zu früher, als sie nur aus Ellbogen und Knien bestanden hatte, wirkte nichts daran unproportioniert. Wie Milo und Jewgeni hatte sie schwerlidrige Augen mit einem ernsten, fast bekümmerten Ausdruck.
»Alexandra?« Ein schockiertes Lächeln huschte über seine Lippen.
Seine Schwester lächelte
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