Die Spinne (German Edition)
Bruder, Jewgenis »Quälgeist«.
Er ist unheimlich leicht zu unterschätzen , hatte Erika gesagt.
Sie trat auf ihn zu. Er war schuld an Jewgenis Tod. Bisher hatte sie nicht geweint, doch jetzt war sie den Tränen nah, und um sie zu unterdrücken, zischte sie: »Mach lieber den Mund auf, Milo, sonst bring ich dich persönlich um, das schwöre ich dir.«
Seine Hände hatten sich schon nach vorn bewegt, vielleicht zu einer Umarmung, doch jetzt zog er sie wieder zurück. »Okay.« Er machte einen Schritt nach hinten. »Aber warte, was machst du eigentlich hier? Du solltest lieber nicht davon ausgehen, dass diese Leute vertrauenswürdig sind.«
Eine seltsame Bemerkung, allerdings hatte Jewgeni ihm wohl nichts von ihrer neuen Tätigkeit erzählt. »Ich bin in eigener Verantwortung hier. Sie unterstützen mich nur.«
Er blinzelte verwundert. »Meine Güte. Du hast für ihn gearbeitet?«
»Wenn du mit ihn unseren Vater meinst, dann ja. Und jetzt raus mit der Sprache.«
Unbeholfen rieb sich Milo über die Stirn. »Er war dort – in Brooklyn –, um sich um meine Familie zu kümmern.«
Mann, war der Kerl begriffsstutzig. »Das weiß ich, Milo. Vergiss nicht, ich habe mit Erika Schwartz gesprochen.«
»Keine Namen «, warf Oskar gereizt ein.
Sie achteten nicht auf ihn. Milo überlegte kurz und nickte. »Ach so. Mir war nicht klar, dass er sie eingeschaltet hat.«
»Anscheinend ist dir ziemlich viel nicht klar.«
Wieder bekundete er nickend seine Zustimmung, dann legte er die Stirn in nachdenkliche Falten. »Es geht um Alan Drummond.«
»O Gott«, entfuhr es Oskar.
»Und Xin Zhu«, ergänzte sie. »Aber im Mittelpunkt steht eigentlich deine geliebte CIA , oder? Hör zu, Milo, vielleicht hast du noch nicht ganz kapiert, was Sache ist. Darum helfe ich dir auf die Sprünge: Du erklärst uns jetzt genau, was sie vorhaben.«
»Ich kann dir sagen, was ich gesehen habe, aber ich habe keine Ahnung, was dahintersteckt.«
»Sie wollen sich an den Chinesen rächen.«
»Anscheinend nicht.« Milo schielte auf seine Uhr. »Wir müssen uns beeilen.«
»Dann sprich.«
Er setzte sich auf den Bettrand, wo Oskar sich zuvor niedergelassen hatte, und berichtete ihr knapp und übersichtlich, was er wusste und woher er es wusste. Es war eine Geschichte, die er offenbar endlos hin und her gewälzt und um alle nebensächlichen Details bereinigt hatte, wahrscheinlich um sie selber besser zu begreifen. Hatte sie mehr Sympathie für ihn, nun da sie wusste, dass ihn Xin Zhu bedroht hatte? Eigentlich nicht. Als er fertig war, sagte sie: »Du musst dir doch inzwischen eine Meinung gebildet haben.«
»Der einzige Anhaltspunkt dafür, dass es sich nicht um eine Racheoperation handelt, ist das, was ich bei dem Gespräch mit Irwin und Collingwood erfahren habe. Vielleicht war das nur für meine Ohren bestimmt. Vielleicht wissen sie, dass ich von den Chinesen geführt werde, oder vielleicht hatten sie den Verdacht, dass das sichere Haus verwanzt war. Sicher ist nur, dass meine Aktion mit Leticia eine List ist, die dazu dient, die Chinesen von irgendwas abzulenken. Leticia meint, dass es ein Angriff ist; aber sie ist auch nicht eingeweiht.«
»Wo ist Alan Drummond?«
In diesem Moment klingelte Oskars Telefon, und er ging hin.
»Das weiß niemand«, antwortete Milo. »Zumindest ist das die Auskunft, die ich bekommen habe.«
»Jones ist auf dem Weg zum Aufzug«, sagte Oskar.
Milo stand auf, ging aber nicht. Anscheinend wartete er auf etwas.
»Ich habe mit Drummond geredet.« Sie fragte sich, ob dieses Bekenntnis ein Fehler war.
Milo runzelte wieder die Stirn.
»Kurz vor seinem Verschwinden«, erklärte sie. »Er hat mir fast nichts gesagt, nur dass deine Familie in Sicherheit sein wird. Dass er dafür gesorgt hat.«
Milo machte große Augen, doch dann erlosch der Glanz in ihnen. »Jeder macht Fehler.« Er ging zur Tür. Kurz davor wandte er sich noch einmal an Oskar. »Ein Mordversuch. Ein Anschlag gegen mich. Dann hätte ich Jones vom Hals. Und wenn Sie abrutschen und mich aus Versehen hier erwischen …«, er tippte sich an die Stirn, »… dann nehme ich es Ihnen auch nicht krumm.«
Bevor einer von ihnen antworten konnte, war Milo verschwunden.
»Was meinen Sie?« Alexandra sah Oskar an.
Oskar zog seine Tragetasche unter dem Bett hervor und schlang sie sich über die Schulter. »Ich glaube ihm kein Wort.«
»Für mich klang er ziemlich überzeugend.«
»Das ist immer so bei ihm. Wenn man nicht genau weiß, worauf es ihm ankommt,
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