Die Spinne (German Edition)
verwehrte.
Francisco und Jan hatten die Kidnapper von Tina und Stephanie Weaver also doch nicht übersehen. Milos Familie hatte das Haus einfach erst nach dem Verschwinden von Primakows Agenten verlassen.
Sie weckte Alexandra im Gästezimmer, um sie ins Bild zu setzen, aber im Grunde erfuhren sie damit auch nicht viel Neues.
Am Morgen tranken sie zusammen Kaffee, und Erika bot ihr an, sie mit ins Büro zu nehmen.
»Ich würde lieber hierbleiben«, antwortete Alexandra. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ist Ihr Haus verwanzt?«
Erika schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste.«
»Dann bleibe ich. Wir können uns am Mittag und dann noch mal um fünf austauschen. Ist Ihnen das recht?«
Eine Anwältin , fiel Erika ein. Und genauso redete sie auch.
Am Freitag kurz vor Mittag trat Oskar in ihr Büro. Sie telefonierte gerade mit Berlin, weil einer ihrer Agenten in Paris gestorben war. Frankreich hatte die Leiche überstellt, zeigte sich aber gereizt über die angebliche Verletzung seiner Hoheitsrechte. Erika war einige Zeit damit beschäftigt, dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes auf sieben verschiedene Weisen zu versichern, dass sich der Mann im Urlaub befunden hatte. »Dürfen wir jetzt in unserer Freizeit nicht mehr ins Ausland fahren?«
Mit einem Wink versuchte sie, Oskar zu verscheuchen, doch er zog den Zeigefinger über den Hals, um sie dazu zu bewegen, das Gespräch zu beenden. Als sie nicht sofort reagierte, streckte er ihr ein ausgedrucktes Überwachungskamerabild von Milo Weaver hin, der direkt ins Objektiv blickte und ein Papierhandtuch mit einer Nachricht darauf hochhielt.
An Erika Schwartz, BND :
Wir müssen reden. Bitte Abstand halten.
Als der Präsident gerade lamentierte: »Das Problem ist, in ihren Augen …«, legte sie auf und wandte sich an Oskar. »Wo?«
»Flughafen Frankfurt. Gerade eben.«
Sie nahm den Ausdruck in die Hand und überflog die kurze Nachricht erneut. Dann blickte sie zu ihrem Assistenten auf. »Jetzt dreht er völlig durch.«
5
Was sie sah , als sie aus dem Bad trat, verblüffte sie. Es war jetzt vier Jahre her. Nein, fünf Jahre. Damals war sie zu einer Firmenklausur ihrer Kanzlei Berg & DeBurgh nach New York geflogen. Bei einem der geselligen Abende hatte einer der amerikanischen Anwälte, ein Großmaul namens Patrick Hardemann, nach mehreren Drinks seine Tochter Stephanie erwähnt und zerknirscht zugegeben: »Allerdings trägt sie nicht den Namen Hardemann, sondern den von ihrem Stiefarschloch – Weaver. « Neugierig geworden horchte ihn Alexandra vorsichtig nach dem Vornamen und der Adresse des Stiefvaters aus. So erfuhr sie, dass Milo mit seiner Familie in Park Slope wohnte.
Nachdem sie ihn so mühelos ausfindig gemacht hatte, rief sie ihn an und schlug vor, sich zum Abendessen zu treffen. »Ich würde so gern mal deine Frau und Tochter kennenlernen. Wirklich, Milo, ich bin doch deine Schwester.« Aber er kam allein ins Restaurant, und nachdem er anfangs irgendwelche Ausflüchte vorgebracht hatte, beichtete er ihr schließlich die Wahrheit: Seine Frau und seine Tochter wussten nicht, dass er zwei Halbschwestern hatte. Sie hatten keine Ahnung von Jewgeni und seiner russischen Verwandtschaft.
Sie begriff, dass sie unerwünscht war, und kam zu dem Schluss, dass die Welt dadurch eigentlich nicht kleiner geworden war, zumal er sowieso keinen Platz in ihrem Leben gehabt hatte. Nach Beginn seines Studiums in den USA hatte sich Milo praktisch aus der Sippe der Primakows verabschiedet. Sie gab sich damit zufrieden, dass er anscheinend relativ glücklich und gesund war – das musste genügen. Außerdem besaß das Ganze eine poetische Symmetrie: Jewgeni hatte seiner Frau und seinen Töchtern jahrelang die Existenz seines Sohnes verschwiegen, und jetzt hielt Milo seinen Vater und dessen Familie vor seiner Frau und Tochter geheim.
Doch jetzt stand er wieder vor ihr. Er war in irgendeine Sache hineingeschlittert, und diese Sache hatte ihren Vater das Leben gekostet.
Was sie verblüffte, war, dass Jewgeni überhaupt in Betracht gezogen hatte, ihm die Leitung der Bibliothek zu übertragen. Wer war dieser verängstigt wirkende Mann mit den eingefallenen Wangen und den grauen Stellen im Haar? Ein Mann, der in vollem Ernst zu Erikas Assistent gesagt hatte: Wenn Sie sie nicht finden, dann lassen Sie mich umbringen. Einer wie er wurde vielleicht benutzt, um an eine lohnende Persönlichkeit heranzukommen, aber er konnte nie selbst das Ziel sein.
Doch er war es. Ihr
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