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Die Spinne (German Edition)

Die Spinne (German Edition)

Titel: Die Spinne (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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Blick auf ein Stück leeren Korridor frei. Er legte die Hände in den Nacken. Nach einigen Schritten erkannte er drei Chinesen links und zwei rechts, die sich an die Wand drückten, um sich bei gleichzeitigem Feuer nicht gegenseitig zu treffen. Zwei von ihnen knieten auf einem Bein. Alle fünf zielten auf ihn. Drei mit Pistolen, zwei mit kleinen Maschinenpistolen.
    Da sie ihm kein Zeichen gaben, entschied er sich für die linke Seite und näherte sich den Männern dort mit bedächtigen Schritten. Als er fast bei ihnen war, rief Leticia wieder etwas, und einer der Kauernden bedeutete Milo mit einem Wink, zur Seite zu treten. Er folgte der Anweisung. Ein anderer senkte die Waffe und riss Milos Arme nach unten, um sie ihm mit Plastikhandschellen hinter den Rücken zu fesseln. Milo spürte den Stich einer Nadel im Unterarm, doch er wehrte sich nicht.
    Dann kam Leticia heraus, die Hände im Rücken. Als sie die Tür passiert hatte, bemerkten Milo und der Mann hinter ihm die Browning in ihrer Rechten. Es war wie eine kreischende Detonation heißer Luft, als der Mann direkt neben seinem Ohr etwas brüllte. Fast gleichzeitig riss Leticia die Pistole nach vorn und konnte einen Schuss abfeuern, dann wurde sie von drei Kugeln getroffen. Sie stürzte, und ihre leere Waffenhand zuckte, als sie einen Schwall wüster Beschimpfungen ausstieß. Brennend und wogend setzte in Milos Kopf die Wirkung der Droge ein. Aus Leticias nackter Schulter strömte Blut über ihr schwarzes Kleid und den beigen Teppichboden; dann verschwand sie unter einem Haufen von Xin Zhus Männern. Milos eigenes Blut schien sich zu verdicken und anzuschwellen. Seine Ohren funktionierten nicht mehr richtig. Die Klänge verwischten zu undurchdringlicher Schmiere.
    Treppe.
    Lobby. Gesichter.
    Straße.
    Rücksitz eines schwarzen BMW s, eingekeilt zwischen zwei bulligen Männern mit schlechtem Atem.
    Die Stadt.
    Autobahn. Kribbelnde Füße. Draußen das Meer.
    Flughafen, aber nicht die Abflughalle. Eine Zugangsstraße um das Gebäude, unter Laufstegen, vorbei an Fahrzeugen mit Treppen ins Nichts, zu einer zweimotorigen Propellermaschine mit schepperndem Getriebe.
    Hände. Atem.
    Kalter Wind auf der Rollbahn. Zwei sprechende Männer am Fuß der Treppe, einer in Pilotenuniform.
    Hinauf. Von Händen hochgehoben, weil die Beine nicht mehr funktionieren.
    Durch das Loch. Keine lächelnde Stewardess. Kein »Darf ich Ihre Bordkarte sehen?«. Zwei Reihen schmuddelige Polstersitze. Nur ein anderer Passagier. Ein Chinese mit teigigem Gesicht und dicker Brille, der auf sein Telefon starrt.
    Hinunter auf den Sitz.
    Gurte. Bitte nicht zu eng.
    »Hallo, Mr. Weaver.« Der Typ mit dem teigigen Gesicht hat sein Telefon weggelegt.
    Sie hocken nebeneinander, nur getrennt durch den Gang.
    Hände bleischwer, aber nicht wegen der Gurte.
    »In drei Stunden sind wir da. Ungefähr.«
    Wo? Nichts kommt über seine Lippen.
    Aber was kann der Mann schon meinen?
    Und spielt es eine Rolle?
    Der Motor dröhnt.
    Der Mann ist jetzt ganz nah, sein Atem riecht minzig und sauber. »Nein, nein«, meint er. »Keine Sorge, wir haben Zeit zum Reden. Später.«
    Der Mann lässt sich nieder und schnallt sich an.
    Die Maschine setzt sich in Bewegung.
    Ja, es spielt eine Rolle.

6
    An diesem Montagmorgen brachte der People’s Daily eine kurze Meldung über Hua Yuans Tod nach einem Schlaganfall und erinnerte die Leser daran, dass sie die Witwe des angesehenen Bo Gaoli gewesen war, der im April auf tragische Weise den Folgen eines Herzinfarkts erlegen war. Zhu fiel ein, mit welchem Misstrauen Hua Yuan alle Berichte über Beamten betrachtet hatte, die an einem Herzinfarkt gestorben waren. Er fand, dass der Begriff Ironie des Schicksals in diesem Fall wirklich berechtigt war.
    Sie war nicht die Einzige, die in den letzten vierundzwanzig Stunden ihr Leben verloren hatte. Xu Guanzhong, Wei Chi-tao und He Qiang waren gestorben, dazu Hector Garza im Kowloon, der allerdings davor noch He Peng getötet hatte, den Zhu eigens für diese Aufgabe nach Peking beordert hatte. Am Abend war Shen An-ling mit der angesichts dieses Blutzolls ziemlich mageren Ausbeute eingetroffen: Milo Weaver und Leticia Jones. Zwei Feinde befanden sich in Haft, die Festnahme eines Dritten war nur eine Frage der Zeit. Die Lage war also, wie sie sein musste, doch der dafür bezahlte Preis war zu hoch.
    Zhu hatte Shen An-ling die Ereignisse vom Sonntagmorgen verschwiegen. Damit wollte er in erster Linie verhindern, dass sein Assistent vom

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