Die Spinne (German Edition)
weißen Plastikstrohhalm.
Nachdem die Hausangestellte gegangen war, eröffnete Zhu das Gespräch. »Hua Yuan, ich wollte mit Ihnen über den Tod Ihres Mannes reden.«
»Über seinen Selbstmord.«
»Genau. In den letzten Wochen hat mir die Frage nach dem Grund keine Ruhe gelassen. Wenn es sich um etwas Persönliches zwischen Ihnen beiden handelt, dann geht es mich natürlich nichts an, doch wenn es etwas mit seiner Arbeit zu tun hatte, dann würde ich es gern besser verstehen.«
Sie musterte ihn wie einen Hausierer, der ihr etwas andrehen wollte. Dann tauchte sie ein Ende des Strohhalms in den Tee und nahm einen Schluck. »Xin Zhu, darüber wissen Sie doch sowieso Bescheid.«
»Worüber?«
»Über Bo Gaolis Arbeit. Er war sehr aufgeregt.«
Zhu starrte ihre feuchten Lippen an. »Verzeihen Sie, Hua Yuan, aber ich weiß sehr wenig über die Arbeit Ihres Mannes.«
»Er hat doch mit Ihnen darüber gesprochen.«
»Nein, Hua Yuan, das hat er nicht.«
Mit schräg geneigtem Kopf sann sie über seine Worte nach. »Auf jeden Fall wollte er mit Ihnen sprechen.«
»Worüber?«
»Über seine Arbeit. Wissen Sie, er war so aufgeregt, dass ich schon glaubte, dass er eine Geliebte hat. An diesem Tag hat er sich sogar die Schultern rasiert. Er war nämlich stark behaart. Ich dachte, er rasiert sich für so ein junges Ding. Komisch, nicht?«
Zhu fixierte sie. »Bo Gaoli war also aufgeregt wegen etwas im Zusammenhang mit seiner Arbeit, und er wollte mit mir reden?«
»Habe ich mich unklar ausgedrückt?«
»Na ja, wir kannten uns ja kaum. Wir waren uns nur bei offiziellen Anlässen begegnet, hatten aber sonst nichts miteinander zu tun. Ein Anruf von ihm hätte mich auf jeden Fall überrascht.«
»Trotzdem, er hat sich auf ein Treffen mit Ihnen vorbereitet, Xin Zhu.«
»Wann war das?«
»Bevor er … gegangen ist.« Sie runzelte die Stirn. »Er hat Sie also nicht aufgesucht?«
»Ich habe kein Wort von ihm gehört. Sprechen wir hier von der Woche des 14. April?«
Nachdenklich sog sie an ihrem Strohhalm. »Wir sprechen von Sonntag, dem 20. April, Xin Zhu. An diesem Tag hat er sich die Schultern rasiert und ist aufgebrochen, um sich mit Ihnen zu treffen.«
»Aber er ist nicht mehr zurückgekommen?«
»Doch, er ist zurückgekommen. Hat mir befohlen, ich soll zu meiner Mutter fahren. Das ist auf dem richtigen Land. Am nächsten Morgen bin ich abgereist. Am Montag.«
Montag, der 21. April. An diesem Tag hatte Wu Liang Bo Gaoli und achtzehn andere zur Vernehmung abgeholt. Zhu fragte: »Warum hat er Sie aufgefordert, das Haus zu verlassen?«
»Das hat er manchmal gemacht. Er hat mich zu meiner Mutter geschickt, wenn er viel Arbeit hatte. Ich bin eine gute Frau, Xin Zhu. Ich habe ihn nicht nach dem Grund gefragt. Er war ein praktisch denkender Mann; er hat mir nie etwas erklärt.« Abermals legte sie die Stirn in Falten. »Er hat Sie nicht aufgesucht?«
»Nein.«
»Warum hat er sich dann die Schultern rasiert?«
»Da bin ich überfragt, Hua Yuan.«
Das schien sie mehr zu verstören als alles andere, und Zhu bekam allmählich Zweifel an ihrer Zurechnungsfähigkeit. Konnte er ihren Angaben trauen? Ihr Mann hatte sie zu ihrer Mutter geschickt, und als sie zurückkehrte, war er tot. Die Reaktionen auf so einen Schicksalsschlag waren so verschieden wie Fischgattungen.
»Das Mädchen musste das Bad dreimal putzen, um alle Haare zu entfernen.«
»Vielleicht wollte er mich anrufen, hat mich aber nicht erreicht.« Plötzlich erinnerte er sich wieder an den 20. April, den Sonntag. »Ja, jetzt fällt es mir ein. An dem Wochenende war ich nicht in Peking. Ich war in Xi’an, und mein Telefon hatte keinen Empfang.« Das war eine Lüge, denn er war in Peking gewesen, zusammen mit seiner Frau im Bett, und hatte vergessen, den Akku seines Handys nachzuladen. Er versuchte, nicht daran zu denken, wie die Sache wohl ausgegangen wäre, wenn er nicht so abgelenkt gewesen wäre.
Doch Hua Yuan hatte sich an einem bestimmten Gedankengang festgebissen, und um sie davon abzubringen, brauchte es mehr als nur diese kleine Lüge. »Ich frage mich, wie alt sie ist.« Ihre Stimme war wie Blei. »Könnten Sie das herausfinden?«
»Hua Yuan, ich möchte mich da nicht einmischen.«
»Erzählen Sie mir nichts von Einmischen, Sie ungehobelter Bauer.« Ihr Ton blieb so gleichmäßig ruhig, dass er kaum seinen Ohren traute. Dann riss sie die Augen weit auf und presste die Faust an den Mund. »Oh. Verzeihen Sie mir, Genosse Oberst.«
»Keine Ursache.«
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