Die Spinne (German Edition)
Beschattern entzogen, aber Zhus Agenten war es gelungen, Alan Drummond ab Freitag kontinuierlich zu überwachen. Allerdings gab es wenig zu berichten. Am Freitag hatte Drummond einen Block entfernt von seiner Eigentumswohnung in Manhattan im Parlor Steakhouse mit einem gewissen Hector Garza zu Mittag gegessen (diesen Namen hatte er dem Oberkellner des Restaurants genannt). Beim Verlassen des Lokals war ein einziges, scharfes Bild von Garza gemacht worden, doch eine Identifizierung stand noch aus.
»Am selben Abend«, erzählte Shen An-ling, »ist er mit seiner Frau Penelope zum 203 Garfield Place gegangen.«
Zhu kaute unwillkürlich an der Unterlippe. Zum letzten Mal war ihm diese Adresse in Berlin untergekommen, als er sie einem Moldawier weitergab, dessen Tochter von der Central Intelligence Agency getötet worden war. »Du meinst, er hat sich mit Milo Weaver getroffen.«
»Es war ein gemeinsames Abendessen der beiden Paare, doch die Männer haben sich zu einem Gespräch unter vier Augen aufs Dach zurückgezogen. Wir haben keine Ahnung, worüber sie gesprochen haben.«
»Und Weaver?«, fragte Zhu. »Wie geht es ihm?«
»Bemerkenswert gut. Andrei Stanescu ist ein miserabler Schütze. Er hat Weavers Dünndarm verletzt, aber nicht schwerwiegend. Eine Woche Krankenhaus. Bald ist er wieder völlig hergestellt.«
Zhu sann kurz nach, ehe er seine Gedanken in Worte fasste. »Wir können davon ausgehen, dass Alan Drummond sich mit seinen Plänen Milo Weaver anvertraut hat, aber ich glaube nicht, dass wir uns wegen Weaver Sorgen machen müssen. Zumindest im Moment noch nicht. Wenn ich ihn richtig verstehe, interessiert er sich derzeit nur für eine friedliche Genesung. Außerdem glaube ich nicht, dass er auf seinen alten Arbeitgeber besonders gut zu sprechen ist.«
»Trotzdem sollten wir ihn im Auge behalten.«
»Selbstverständlich! Allerdings nicht auf Kosten von Drummond und seinen Mitverschwörern. Was hat Weaver in den letzten Tagen getrieben?«
Shen An-ling überflog das vor ihm liegende Blatt. »Anscheinend ist er auf Arbeitssuche.«
»Guter Mann«, bemerkte Zhu. »Bestimmt will er was Ruhiges.«
Kurz nach zehn Uhr morgens verließ Xin Zhu das Büro im Wagen eines Angestellten und fuhr auf der Fourth Ring Road nach Süden zur G106 in den Bezirk Daxing. Unterwegs wandte er einige grundlegende Manöver an, um mögliche Überwacher abzuschütteln: Er ratterte über rissige Mittelstreifen, um die Richtung zu wechseln, und wich auf alternative Strecken aus, ehe er wieder zu den Hauptrouten zurückkehrte, sodass die eigentlich halbstündige Fahrt über eine Stunde dauerte. Schließlich erreichte er eine Straße mit sechsstöckigen Mittelschichtwohnhäusern. He Qiangs Apartment lag in der obersten Etage eines Gebäudes in der Mitte. Im Aufzug versuchte Zhu, zwei dicke Filzstiftkrakeleien an der Wand zu entziffern. Graffiti waren ein relativ neues Phänomen in Peking, über das er schon viele Klagen gehört hatte, doch hier hatte er das Gefühl, dass sie die Stimmung in dem rostigen Fahrstuhl aufhellten.
Als ihn He Qiang in die Wohnung führte, lief im Fernseher wieder eine Bollywood-Schnulze, und Liu Xiuxiu saß an einer Schreibmaschine, um einen Code zu üben, den ihr He Qiang beigebracht hatte. Es herrschte ausschließlich künstliche Beleuchtung, da He Qiang alle Jalousien geschlossen hatte.
Liu Xiuxiu, die Jeans und eine dünne weiße Bluse trug, hörte auf zu tippen und kam mit geneigtem Kopf herüber. Sie wirkte überrascht, als ihr Zhu die Hand schüttelte. Dann entspannte sie sich und verschwand, um Tee zu kochen. Als He Qiang den Fernseher ausschaltete, deutete Zhu fragend zur Decke.
»Unsere erste Lektion.« He Qiang reichte ihm vier Passfotos von Liu Xiuxiu. »Wir haben die ganze Wohnung durchkämmt.«
»Irgendwas?«
Kopfschütteln.
»Gut.« Zhu ließ sich auf dem Sofa nieder und wartete, bis der Tee kam, den Liu Xiuxiu mit der Anmut einer Kurtisane servierte. »Bitte«, sagte er, als er merkte, dass sie sich nicht zu ihnen setzen wollte, und klopfte auf das Sofa. Sie setzte sich neben ihn, und er sprach sie mit bedächtiger Stimme an: »Liu Xiuxiu, als Erstes sollten Sie begreifen, dass Sie hier sind, weil Sie den gleichen Wert haben wie alle meine Agenten. Zumindest wird dies der Fall sein, sobald Sie ein wenig Erfahrung gesammelt haben. Vielen Dank für den Tee, aber denken Sie nicht, dass Sie uns hier bedienen müssen. Das ist nicht mein Führungsstil.«
Bescheiden nickte sie.
Zhu wandte
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