Die Spinne (German Edition)
Gehsteig einen kleinen Mann mit Jeanshemd. Der Mann schielte kurz in Milos Richtung und steckte sein Telefon weg. Milo lockerte seine Krawatte und dachte über die vielen Fehler nach, die ihm bei dem Bewerbungsgespräch unterlaufen waren. Er versuchte, sowohl den Mann als auch die Blähungen in seinem verletzten Darm zu ignorieren; er musste dringend eine Toilette aufsuchen.
Milo rechnete damit, dass der Mann im Jeanshemd die Straße überqueren würde, um sich mit ihm zu treffen, doch er ging parallel zu ihm weiter und mimte den Unbeteiligten. Möglicherweise hatte er tatsächlich kein Interesse an ihm, und es lag wieder einmal an Milos berühmtem Verfolgungswahn. Doch in diesem Augenblick tauchte ein anderer Mann – dünn, dunkelhäutig, mit einem Anzug, der bei der Hitze sicher ungemütlich war – neben Milo auf und lief im Gleichschritt neben ihm her. »Milo Weaver?«
Milo verlangsamte sein Tempo nicht und wartete darauf, dass der Neuankömmling seine Frage wiederholte. »Ja?«
»Können wir kurz miteinander reden?«
»Ich habe einen Termin.«
»Dauert nur eine Minute.«
»Bin schon zu spät dran.«
Der Mann machte einen kleinen Hopser, um Schritt zu halten. »Es ist wichtig, Mr. Weaver.«
»Mein Termin auch.«
»Es geht um Ihren Freund Alan Drummond.«
Milo bremste etwas ab, um seinen Schatten genauer zu mustern. Jung, dreißig oder knapp darüber. Südasiatische Vorfahren, vielleicht Inder. Koteletten. Modische Streberbrille. »Was ist mit ihm?«
»Wahrscheinlich besser, wir sprechen nicht in der Öffentlichkeit.«
Milo stoppte. In der Ferne erblickte er die U-Bahn-Station York Street, von der aus er nach Hause fahren konnte. »Ich hab keine Zeit, Sie zu Ihrem Büro zu begleiten. Sie können hier mit mir reden. Als Erstes erzählen Sie mir mal, wer Sie sind.«
»Ach so, natürlich.« Mit einer knochigen Hand klopfte sich der Mann ab, bis er auf eine Lederbrieftasche stieß. Er schlug sie auf wie ein Buch. Auf einer Seite dokumentierte ein Abzeichen mit Adler, dass dieser Mann ein Special Agent war, und auf der anderen gab ein laminierter Heimatschutzausweis mit Foto den Namen des Inhabers als Dennis Chaudhury an, Beamter der Immigration and Customs Enforcement. »Reicht das?« Chaudhury klappte die Brieftasche wieder zu.
»So was kann man doch im Internet kaufen.«
Nach kurzer Verwirrung lächelte Chaudhury. »Mann, euer Verein ist wirklich misstrauisch.«
»Was für ein Verein?«
»Die Company.«
Während sie sich unterhielten, überquerte der Mann im Jeanshemd die Straße und blieb vor einer Apotheke stehen. Milo deutete nach vorn. »Sie haben noch Zeit bis zur U-Bahn-Station.«
»Aber Mr. …«
»Ich gehe langsam.« Er setzte sich in Bewegung.
Dennis Chaudhury trabte los, um ihn einzuholen. »Ihr Freund hat sich in Luft aufgelöst.«
Erneut blieb Milo stehen. Die Sonne knallte ihm auf den Kopf. »In Luft aufgelöst?«
»Ist verschwunden. In London. Aus dem Rathbone Hotel.«
»Seit wann?«
»Seit Samstag.«
Milos Magen knurrte, und er fragte sich, ob der Typ es auch gehört hatte. »Ihr verliert Alan aus den Augen … Okay, nicht ihr. Der MI5?«
Chaudhury zuckte die Achseln.
»Er entwischt seinen Aufpassern, und nach drei läppischen Tagen behauptet ihr, dass er verschwunden ist?« Milo stapfte wieder los. »Sie haben wohl nichts Vernünftiges zu tun.«
Chaudhurys Stimme folgte ihm. »Wir glauben, dass er entführt wurde.«
»Wie kommen Sie denn auf diese Idee?« Milo blickte sich nicht um.
»Ich weiß nicht. Vielleicht weil jemand die Überwachungskameras im Hotel abgeschaltet hat. Als sie wieder funktionierten, war er weg.«
Wieder bremste Milo ab und wandte sich um.
Chaudhury stand ein Stück hinter ihm, die Hände in den Hüften, und achtete nicht auf die Fußgänger, die an ihm vorbeiliefen. »Wir warten noch auf weitere Informationen vom MI5, aber es ist schwer, was aus denen rauszubekommen.«
»Warum?«
»Weil das Arschlöcher sind, Mr. Weaver.«
Die Antwort kam unerwartet, und Milo musste grinsen.
Chaudhury fuhr fort. »Eigentlich waren es die Leute von Scotland Yard, die gemerkt haben, dass da was nicht stimmt. Wenn einer spurlos verschwindet, schön und gut, aber er hat auch einen falschen Namen benutzt, der bereits im Zusammenhang mit einem Verbrechen aufgetaucht ist. Irgendwie lächerlich, einen enttarnten Namen zu benutzen. Eigentlich sogar verrückt.«
»Und was war das für ein Name?«
»Sebastian Hall.«
Milo biss sich auf die Zunge, damit seine Lippen
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