Die Spinne (German Edition)
nicht ins Zittern gerieten. Am liebsten hätte er laut geschrien. »Und wer hat ihn Ihrer Meinung nach geschnappt?«
»Das wissen wir nicht.« Chaudhury trat auf Milo zu. »Aber vielleicht haben Sie eine Idee – Sie sind doch ein Freund von ihm.«
»Wie kommen Sie darauf?«
Chaudhury war jetzt so nah, dass er nur noch zu flüstern brauchte. »Treffen zum Abendessen.«
Milo biss noch etwas fester zu. »Sie haben mich überwacht?«
»Ihn, nicht Sie.« Eine Pause. »Müssten wir Sie auch überwachen?«
»Was ist mit Penelope?«
»Die Frau?« Er schüttelte den Kopf. »Sie sind der Erste, an den wir uns gewandt haben. Ich hatte gehofft, dass Sie vielleicht eine einfache Erklärung für uns haben.«
Milo schaute an ihm vorbei zu dem Jeanshemdträger, der zu einem Zeitungskasten weitergeschlendert war. »Hören Sie. Ich habe einen Termin, den ich einhalten muss. Können wir uns heute Abend weiterunterhalten?«
»Wie Sie möchten, Mr. Weaver.«
Als er mit grummelndem Bauch eingekeilt zwischen schwitzenden Leibern in der U-Bahn stand und sich an einer Metallschlaufe festhielt, ließ er seine wunde Zunge endlich los und stieß einen wüsten Fluch aus. Dass sich Alan hatte entführen lassen, war eine Sache – es war schlimm, aber angesichts seines Zustands fast unvermeidlich. Aber dass er dabei den Namen Sebastian Hall benutzt hatte, eröffnete eine völlig andere Dimension. Er hatte Milos alten Decknamen verwendet, um Milo zum Mitmachen zu zwingen.
Das war also der endgültige Beweis. Alan hatte wirklich den Verstand verloren, ein Prozess, der mit Punkten auf einem Computerbildschirm begonnen hatte, die Morde auf der ganzen Welt anzeigten. Rote Punkte, die blau wurden. Dreiunddreißig Touristen, das Ende einer Ära.
Als er Alan dabei unterstützt hatte, Dokumente für den Abschlussbericht zusammenzutragen, erfuhr er, dass die meisten erstaunlich schnell und vielleicht sogar schmerzlos gestorben waren: durch einen unerwarteten Schuss ins Gesicht, durch einen überraschenden Messerstich, durch Drähte, die durch Luftröhren und Schlagadern schnitten, oder durch einen Autounfall mit Fahrerflucht. Nur eine Agentin ging in Flammen auf, als ihr Wagen auf einer afghanischen Straße von einer Alcotán-C-100-Panzerabwehrrakete getroffen wurde.
Einige – sechs oder sieben vielleicht – hatten keinen schnellen Abgang. Sie lagen nach einem Bauchschuss stundenlang auf der Straße, bis sie endlich verblutet waren, oder wurden vergiftet und erstickten qualvoll in einem Hotelzimmer. Eine Frau in Mexiko-Stadt und ein Mann in Vancouver wurden von Unbeteiligten gefunden und ins Krankenhaus gebracht, doch binnen zwölf Stunden kamen Besucher, die ihrer Qual ein Ende setzten.
Von den vier Überlebenden hatten Leticia Jones und Zachary Klein in einem Geheimprojekt mit Milo zusammengearbeitet, außerhalb der Reichweite von Xin Zhus ausgeklügeltem Plan zur Selbstauslöschung der Abteilung Tourismus. José Santiago in Buenos Aires kam ungeschoren davon, weil sein Telefon in das mit Rasierwasser gefüllte Waschbecken gefallen und dabei kaputtgegangen war und weil er so geistesgegenwärtig war, dass er seinen Angreifer töten konnte. In Hanoi lag Tran Hoang in einer Opiumhöhle in Long Bien. Er war der offiziell nicht erfasste Tourist, den Alan erwähnt und von dessen Existenz Xin Zhu nichts gewusst hatte.
Danach zog sich Milo aus der Abteilung zurück und konnte nach Hause, doch Alan musste die Reise nach Langley antreten. Quentin Ascot war zu beschäftigt, um an dem Treffen teilzunehmen, und sein Assistent George Erasmus Butler, die eiserne rechte Hand des Direktors, erschien mit einer dicken Mappe voller Mängel. Nicht nur Alan stand auf seiner Abschussliste, sondern die gesamte Abteilung Tourismus.
Dieser Sturz hatte Alan zu einem rachebesessenen Trottel gemacht. Jetzt war er verschleppt oder vielleicht sogar getötet worden. Und Milo wurde in eine Sache hineingezogen, mit der er überhaupt nichts zu tun haben wollte.
An der Haltestelle Seventh Avenue lief er die Treppe hinauf zum Gehsteig und wählte Alans Nummer. Sein Telefon, so hieß es, war außer Betrieb. Gleich darauf rief er seine einzige Kontaktperson beim Heimatschutz an und hinterließ eine Nachricht. Er setzte seinen Weg durch die Hitze fort und wartete unter einer Birke vor der Berkeley-Carroll School. In der Nähe unterhielten sich mehrere Kinderbetreuerinnen und warfen ihm ab und zu bedeutsame Blicke zu. Um diese Zeit war ein Vater ein eher seltener Anblick.
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