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Die Spinne (German Edition)

Die Spinne (German Edition)

Titel: Die Spinne (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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ihren Fingernägeln. Sie kannte die Geschichte bereits. Sie wusste auch, dass ein chinesischer Geheimdienstoffizier hinter der Liquidierung der amerikanischen Agenten steckte. Nur seinen Namen hatte er ihr nicht verraten.
    Penelope trank ihr Glas leer und wischte sich mit einer unbewussten Geste über die Lippen, die ihn an ihren Mann erinnerte. »Deswegen ist er so besessen.«
    »Ja.«
    »Und …« Stirnrunzelnd hob sie den Blick vom Tisch und schaute Milo in die Augen. »Und hilfst du ihm?«
    Auch Tina musterte ihn jetzt voller Erwartung.
    »Ich würde ihn gern dazu bringen, die Sache auf sich beruhen zu lassen.«
    »Dreiunddreißig Leute? Kann man so was denn überhaupt auf sich beruhen lassen? Könntest du das?«
    Er schüttelte den Kopf. »Da ist einfach nichts zu machen. Alan kann nichts tun. Und ich auch nicht.«
    »Da müsste doch jemand verhaftet werden«, entgegnete Penelope.
    »So läuft das nicht.«
    »Sag es ihr«, forderte Tina.
    Milo blinzelte. »Was?«
    Mit einem Seufzen griff Tina nach der offenen Flasche Wein und schenkte nach. »Was du mir erzählt hast. Über China.«
    »Ich weiß nicht …«
    »Bitte«, unterbrach ihn Penelope. »Erzähl mir von China.«
    Tina war klar, dass sie ihn in Bedrängnis brachte, aber das war ihr egal. Für sie waren Dinge wie nationale Geheimnisse und staatliche Behörden nebensächlich im Vergleich zu einer Frau, die neben ihr auf der Couch saß und unter dem Verfall ihres Mannes zu leiden hatte. Er fragte sich, was Alan Drummond wohl an seiner Stelle getan hätte, und dann fiel es ihm ein: Alan wäre missmutig und unhöflich geworden, er wäre aufgestanden und gegangen. Doch hätte Milo so gehandelt, hätte Tina Penelope einfach alles erzählt, was sie wusste. So konnte er wenigstens sicher sein, dass sie keine Fakten durcheinanderwarf.
    Er erhob sich. »Komm mit, Pen. Gehen wir rauf aufs Dach.«
    »Aufs Dach?«
    »Das musste ich auch«, sagte Tina.
    Penelope rührte sich nicht von der Stelle. »Wozu?«
    »Wanzen«, antwortete Tina. »Mein Mann leidet an Verfolgungswahn.«

3
    » Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?«
    Milo kratzte sich an der frisch rasierten Wange und bedachte William J. Morales, den Personalsachbearbeiter von Redman Transcontinental – nennen Sie mich einfach Billy wie alle meine Freunde – mit einem bohrenden Blick, ehe er ein Fußgelenk aufs Knie legte. Hinter seiner Stirn tobte ein nachmittäglicher Kopfschmerz wie eine mahnende Erinnerung an den Wein vom Vorabend mit Penelope – obwohl er gar nichts davon getrunken hatte. »Wie meinen Sie das?«
    »Sie wissen schon.« Morales fuhrwerkte mit der Hand herum, um ein Wort zu umreißen, das ihm nicht einfiel. »Wo Sie stehen werden. Familie, Beruf, finanzielle Absicherung.«
    »Bin ich ein Prophet?«
    Morales blinzelte ihn an. »Sie sollen sich nur was vorstellen, Milo. Niemand wird das in zehn Jahren nachprüfen. Erzählen Sie mir einfach, wo Sie dann gern wären.«
    Es war nicht Morales’ Schuld. Solche Fragen waren vorgeschrieben. Im letzten Monat hatte er sie bei vielen privaten Sicherheitsfirmen gehört und sogar eine Antwort nach Schema F darauf gegeben – Ich sehe mich in einer gesicherten Position, mit einer Arbeit, die ich mag, aber mit Freizeit am Wochenende, die ich mit meiner Familie verbringe – , doch bisher hatte sich das nicht spürbar auf seine Einstellungschancen ausgewirkt.
    Daher versuchte er es jetzt mit einer neuen Taktik: Aufrichtigkeit. »Man kann nie wissen. Vielleicht kreuzt in zehn Jahren ja doch jemand auf und fragt, wie mein Leben abschneidet im Vergleich zu meinen Plänen. Solche Tests kommen immer wieder vor. Und wenn man durchfällt, kriegt man die Zähne eingeschlagen und zwei Kugeln in den Hinterkopf.«
    Über William J. Morales’ Gesicht zuckte ein kurzes Lächeln, das gleich wieder erlosch. Er verschob Papiere auf dem Schreibtisch und warf einen Blick auf sein offenes Notebook. »Hören Sie, wenn Sie keine Antwort haben, ist das auch okay.«
    »Ich habe haufenweise Antworten, Billy. Aber meistens halte ich mich nicht damit auf, weil ich weiß, wie leicht sie sich in Luft auflösen. Zurzeit kümmere ich mich nur um den nächsten Schritt. Das ist schwer genug, da muss ich nicht auch noch an die nächsten zehn Schritte oder Jahre denken.«
    Als er sich einige Minuten später nach dem Verlassen des Firmengebäudes ein Nicorette in den Mund schob und auf der Brooklyner Seite um die Ecke unter der Manhattan Bridge bog, bemerkte er auf dem gegenüberliegenden

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