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Die Spinne (German Edition)

Die Spinne (German Edition)

Titel: Die Spinne (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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Genfer Apartment versteckten, gefiel ihm überhaupt nicht. Es war bekannt.
    Nach dem Essen stellte Tina eine Frage, auf die sie seltsamerweise noch nie gekommen war. »Was machst du eigentlich bei der UN?«
    »Milo weiß das doch. Ich arbeite beim Generalstabsausschuss des Sicherheitsrats. In der Finanzabteilung.«
    »Das heißt, er ist Buchhalter«, fügte Milo hinzu.
    »Das heißt, ich bin Verwaltungsbeamter«, korrigierte Jewgeni. »Bei Zahlen bin ich eine Niete.«
    »Hab ich das jetzt richtig verstanden?«, hakte Tina nach. »Du leitest ein Team von Buchhaltern?«
    »So was in der Richtung, aber meine Leute arbeiten sehr selbstständig, ich muss mich kaum um sie kümmern. Deswegen habe ich jede Menge freie Zeit.«
    »So läuft das also? Du kontrollierst sie ab und zu, und die übrige Zeit fliegst du in der Gegend rum?«
    »Ja, mit so einem Job kann man sich wirklich glücklich schätzen.« Jewgeni richtete seine Worte an Milo.
    »Beneidenswert«, stellte Tina fest.
    Jewgeni lehnte sich über den Tisch und legte seine Hand auf die ihre. »Dann verlass diesen Trottel und brenn mit mir durch.«
    »Kann ich Stef mitnehmen?«
    Mit ihrem Armband am Handgelenk ging Stephanie schlafen, und alle drei Erwachsenen brachten sie ins Bett. Danach kochte Milo Kaffee, und Tina erzählte Jewgeni von Alan und Penelope. Sie berichtete ihm das wenige, was sie wusste, und fügte hinzu, dass sie in ihrer Mittagspause beim Apartment der Drummonds vorbeigeschaut hatte.
    Milo wunderte sich. »Warum?«
    »Sie meldet sich noch immer nicht am Telefon.« Dann wandte sie sich wieder an Jewgeni. »Aber das weißt du sowieso schon alles, oder?«
    Nach einem kurzen Blick zu Milo zuckte Jewgeni die Achseln.
    »Und?«
    »Ich stehe in Verbindung mit Leuten in London, die die Sache untersuchen. Ich glaube nicht, dass er tot ist.«
    »Milo auch nicht.«
    »Er hat das Hotel allein verlassen.«
    Sie überlegte kurz. »Er hat einen von Milos alten Decknamen benutzt. Warum macht er so was?«
    »Keine Ahnung.«
    »Vielleicht hat er wirklich den Verstand verloren.«
    Jewgeni ließ sich Zeit mit der Antwort, als wäre das ein völlig neuer Gesichtspunkt für ihn. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Nein, er ist einfach bloß Amerikaner.«
    Als Milo die Tassen hinstellte, blinzelte Tina verwirrt. »Was soll das heißen?«
    »Nichts weiter«, erwiderte er. »Amerikaner … na ja, Amerikaner sind eben was Besonderes, auch in der entwickelten Welt.«
    »Aha.«
    Jewgeni lächelte. »Natürlich. Ihr glaubt noch immer an Utopien. Vielleicht weil es zu eurem Gründungsmythos gehört, diese Suche nach der vollkommenen Heimat. Auch im einundzwanzigsten Jahrhundert halten die Amerikaner an der Vorstellung einer Gesellschaft fest, in der ein konstantes Maß an Anstand herrscht und in der ein perfektes Gleichgewicht zwischen Kontrolle und Freiheit gewahrt bleibt. Einfach putzig. Ihr solltet mal sehen, was nach ein paar Hundert Jahren Kriegen und Unruhen von solchen Hoffnungen übrig bleibt.« Er schwieg, aber sie warteten noch immer auf eine Erklärung. »Alan Drummond hat eine böse Schlappe einstecken müssen, und das hat ihm die Schwachstellen in seinen utopischen Träumen vor Augen geführt. Das ist eine schreckliche Erfahrung. Traumatisch. Wenn Amerika so was zustößt – wenn zum Beispiel eine kleine Bande Irrer aus der Wüste zwei riesige Hochhäuser zum Einsturz bringt und damit beweist, dass Amerikas Sicherheitsgefühl trügerisch war –, dann schlägt das Land um sich. Es dreht durch. Dieses Verhalten hat etwas Irrationales an sich, etwas Wildes. Niemand lässt sich gern in seinen Kernüberzeugungen widerlegen, vor allem wenn diese Illusionen die Grundlage für die einzigen Glücksträume sind, die man hat. Und wenn die amerikanischen Träume einen Dämpfer erhalten, geht das Land hoch wie eine Rakete. Wer im Weg steht, hat Pech gehabt.« Jewgeni wirkte auf einmal verlegen, als er nach seinem Glas griff.
    Milo erinnerte sich noch gut an ähnliche Vorträge in seiner Teenagerzeit, als er bei Jewgeni und seiner Familie in Moskau gelebt hatte. Damals war er jung und wütend gewesen und hatte über jeden einzelnen Punkt heiß mit dem Alten diskutiert. Jetzt beließ er es bei: »Na ja.«
    »Was Alan Drummond angeht …« Jewgeni räusperte sich. »Ich kann mir nur vorstellen, dass er auch so ähnlich um sich schlägt und dermaßen überzeugt ist von seinem Kampf, dass er bereit ist, andere wie Milo hineinzuziehen.«
    Milo verkrampfte sich, als auf der Treppe

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