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Die Spinne (German Edition)

Die Spinne (German Edition)

Titel: Die Spinne (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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es noch mehr Beschatter, aber seine Augen tränten, und ihm verschwamm ständig der Blick. Das Gleiche galt für seine Gedanken, und irgendwann schoss ihm durch den Kopf, dass er Chaudhury in Washington umgebracht hätte, wenn er da schon gewusst hätte, was er jetzt wusste.
    Als sie den Schalter erreichten, öffnete Leticia ihre kleine Handtasche und zog zwei abgegriffene Pässe heraus. »Zweimal um 9.35 Uhr nach Mexiko-Stadt.«
    »Haben Sie reserviert?«, fragte die zierliche, braunhaarige Angestellte mit olivfarbener Haut.
    »Auf den Namen Frederickson.« Leticia wies mit dem Kinn auf Milo. »Das ist er.« Sie beugte sich über den Schalter und fügte laut flüsternd hinzu: »Er hat schlechte Laune.«
    Du hast keine Ahnung, wie schlecht , dachte er.
    Mit mühsam unterdrücktem Grinsen überprüfte die Angestellte die Pässe – Gwendolyn Davis und Sam Frederickson – und druckte die Bordkarten aus. »Gepäck?«
    »Nur wir beide.« Leticia nahm Milo am Arm. »Komm, Schatz.«
    Als sie in der gewundenen Schlange auf die Kontrolle warteten, bemerkte er erneut Chaudhury mit einem Handy am Ohr, der seinen Lagebericht durchgab. Da Leticia sein Starren anscheinend mitbekommen hatte, sagte er: »Du hast Tickets reserviert.«
    »Man muss reservieren«, antwortete sie. »Diese Maschine ist immer voll.«
    »Und wenn ich mich für Cancún entschieden hätte?«
    Sie lächelte. »Mr. Frederickson hat heute Vormittag für viele Flüge reserviert.«
    Sie kamen reibungslos durch die Kontrolle, und als sie wieder in die Schuhe schlüpften, fragte Milo: »Soll ich jetzt verwirrt sein?«
    »Das will ich hoffen.«
    Kurz vor neun erreichten sie Gate 5, und weil keine Sitzplätze mehr frei waren, lehnten sie sich an eine Säule. Milos lädierter Darm meldete sich mit einem geronnenen Mahlen der Verzweiflung, und er konnte sich nicht vorstellen, wie er das schaffen sollte. Er konnte unmöglich neben Leticia Jones in einer Maschine sitzen und nach Mexiko fliegen. Im Grunde blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf den Boden zu legen, die Augen zu schließen und zu sterben. War das die Rettung? Er wusste es nicht, aber er hielt es für möglich.
    »Beruhig dich, Baby«, mahnte Leticia. »Du benimmst dich, als hättest du noch nie in einem Flieger gesessen.«
    »Ich würde bloß gern wissen, was los ist.«
    »Damit du es deinen Vorgesetzten in Peking verraten kannst?«
    Eine volle Sekunde lang starrte er sie schockiert an. Ein weiterer Beweis seiner kompletten Inkompetenz. In ihrem Gesicht las er einen leisen Stimmungswechsel, der darauf hindeutete, dass sie die Bemerkung nicht ernst gemeint hatte, aber jetzt kurz davor stand, ihre Meinung zu ändern. Möglicherweise überlegte sie schon, ob sie ihn liquidieren musste.
    »Was soll dieses Gerede?«
    »Entspann dich und spiel einfach mit.« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem belebten Korridor zu.
    »Du wartest auf jemand.«
    »Vielleicht kommt jemand, vielleicht auch nicht.«
    Nach dem Signal zum Einsteigen ließen sie sich eingekeilt in der schwitzenden Horde vom allgemeinen Ansturm mitreißen, doch als nur noch zwei Passagiere vor ihnen waren, zupfte ihn Leticia am Ärmel. »Zeit zum Abschwirren.« Gehorsam folgte er ihr aus dem Gedränge zur anderen Seite des Terminals, wo sie sich vor dem Dunkin’ Donuts in eine weitere Schlange einreihten und sich Kaffee mit belegten Croissants kauften. Er nahm nur ein paar winzige Bissen, weil er wusste, dass er das Essen nicht bei sich behalten würde; es erinnerte ihn einfach an das Aroma der chinesischen Gerichte in der Wohnung und damit an alles andere.
    Am fast leeren Gate 12 setzten sie sich und ignorierten den Aufruf ihrer Pass-Namen über die Lautsprecher. Schließlich hob die Maschine nach Mexiko-Stadt ab, und sie gingen zurück durch die Sicherheitskontrolle. Von Chaudhury keine Spur. Nach kurzem Warten stiegen sie in ein Taxi, und Leticia nannte die Adresse Union Square Park. Der Chauffeur, ein hellhäutiger Nordafrikaner, schaltete die Anzeige ein und gab die Fahrt über sein Funkgerät durch, doch auf dem Queens Boulevard drückte ihm Leticia fünfzig Dollar in die Hand und bat ihn, sie stattdessen nach Port Morris in der Bronx zu bringen, ohne es bei der Zentrale zu melden. Er musste zwei Sekunden nachdenken, ehe er auf den Vorschlag einging.
    Als nächstes Transportmittel wären nun vor allem Busse infrage gekommen, doch wie sich herausstellte, hatte Leticia zwei Straßen vom Meer entfernt einen Ford Escape abgestellt, ein

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