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Die Spinne (German Edition)

Die Spinne (German Edition)

Titel: Die Spinne (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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Hybridmodell. Es war kurz nach elf.
    Erst als sie unterwegs waren, hielt sie es für angezeigt, die Spannung abzubauen. »Unser Flug geht erst nach sieben, du kannst dich also abregen. Sicher sind dir die Beschatter am Flughafen aufgefallen. Oder etwa nicht?«
    »Ein Inder«, antwortete Milo.
    »Und …?«
    Er blinzelte. »Ist das ein Test?«
    »Er hatte eine weiße Tussi dabei. Kann mir nicht vorstellen, dass wir sie abgeschüttelt haben – zumindest hoffe ich, sie sind noch dran –, jedenfalls glaube ich, wir waren ziemlich überzeugend.«
    »Was sind das für Leute?«
    »Chinesische Agenten wahrscheinlich, aber vielleicht hat auch der Heimatschutz Wind davon bekommen.« Sie schnüffelte, und er fragte sich, ob das eine Anspielung war. Hatten denn alle seinen Anruf bei Janet Simmons mitgehört? Doch dann fügte sie hinzu: »Besser wir gehen davon aus, dass es die Chinesen sind.«
    »Leticia?«
    »Ja, Baby?«
    »Wohin fahren wir, verdammt?«
    »Zuerst essen und trinken wir mal was. Tut dir bestimmt gut.«
    Sie rauschte über den Major Deegan Expressway und dann über die Hamilton und die Washington Bridge nach New Jersey, wo sie den Bergen Boulevard nach North Bergen mit seinen klobigen Backsteinbauten nahm. Sie bog von der Hauptstraße neben dem Park ab und stoppte schließlich an einer Ecke vor dem mexikanischen Restaurant Puerto Vallarta, in dem sich viele Mittagsgäste drängten. Sie hatte vorher angerufen und auf den Namen Jenny einen Tisch reserviert.
    Als sie sich niedergelassen hatten, bestellte Leticia einen Krug Margarita. »Lächeln, Baby.«
    Milo stand kurz vor der Explosion. Wenn sie noch einen Witz machte, würde er seinen Kopf gegen den Tisch rammen, bis er blutete. Vielleicht konnte er damit das schwarze, schwindelerregende Grauen durchbrechen, das ihn gepackt hatte, als er sich neben die Leiche seines Vaters im Wohnzimmer gesetzt hatte. Den Blick auf das zerdrückte Haar und die lose Haut an den Fingern des Alten gerichtet, hatte er zwei tiefe Schlucke Wodka aus der Flasche genommen, um den Erinnerungen und Schuldgefühlen zu entrinnen und sich darauf zu konzentrieren, was passiert war, was es bedeutete und was er als Nächstes tun musste.
    Als der Krug serviert wurde, schenkte sie sein Glas voll. »Trink was. Wo wir hinmüssen, ist es trocken wie die Hölle.«
    Er hob den Kopf. Immerhin ein kleiner Hinweis, aber er machte sich nicht die Mühe, seine Vermutungen laut auszusprechen. Wie ein frisch aus der Wüste Entflohener schüttete er sich die Margarita in den Hals, bis das Glas fast leer war. Entweder es half, oder es brachte ihn um. Eine Weltanschauung, die ihm immer mehr einleuchtete.
    »Dein Arzt würde jetzt bestimmt die Stirn runzeln.« Sie schob einen Strohhalm in sein Glas.
    Er fixierte sie mit dem ersten konstanten Blick, den er an diesem Tag zustande brachte. Er war selbst Tourist gewesen und wusste, dass alles, was sie ihm zeigte – das coole Auftreten, die makellose Schönheit, der Stil, der Humor –, nur Show war. Direkt unter der Oberfläche lauerte eine ganz andere Frau. Eine Mörderin, sicher, aber auch ein Mensch, der in eine Familie geboren worden, der ein Kind, ein Teenager und eine junge Erwachsene gewesen und schließlich in einer Welt gelandet war, vor der die meisten Leute schreiend davonlaufen würden. Nach dem Zusammenbruch der Abteilung hatte sie die Chance zum Absprung gehabt, aber sie hatte sie nicht genutzt.
    »Warum bist du zurückgekommen?«
    Sie musste nicht fragen, wovon er redete. »Was soll ich denn sonst machen?«
    »Ich hab dich doch erlebt – du könntest viele Sachen machen«, antwortete er. »Und erzähl mir nicht, dass du nicht darüber nachgedacht hast. Jeder Tourist hat einen Fluchtplan in der Schublade. Irgendwo hast du einen anderen Namen und Bargeld gebunkert.«
    Es wäre völlig sinnlos für sie gewesen, es abzustreiten. Ein Tourist ohne Rückzugsmöglichkeit verdiente den Namen nicht. »Vielleicht habe ich Angst vor der Langeweile«, sagte sie schließlich. »Weißt du, was ich früher gemacht habe?«
    »Erzähl.«
    »Ob du’s glaubst oder nicht, ich habe Englisch unterrichtet. In Hongkong.«
    »Daher kannst du also Mandarin.«
    »Das hat wohl eine Rolle bei meiner Anwerbung gespielt.«
    »Aber das reicht nicht.« Er fühlte sich ein wenig besser, weil er nicht mehr über sich selbst nachdachte. »Irgendwie sind sie auf dich aufmerksam geworden. Hast du jemand ermordet?«
    »Fast.« In ihren Augen leuchtete etwas von der Geschichte auf, die

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