Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Spinne (German Edition)

Die Spinne (German Edition)

Titel: Die Spinne (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
Vom Netzwerk:
doch scheißegal. Ich bin bloß ein Privatschnüffler. Er ist einer von Xins Leuten. Der Mann mit der Philosophie.«
    »Und weiter?« Milo zog den Reißverschluss zu.
    »Ich kann nichts erzählen, was ich nicht weiß.« Chaudhury beugte sich zum Spiegel vor und berührte eine Stelle über dem linken Wangenknochen. »He Qiang bringt mir die Befehle und zahlt das Honorar. Ich weiß, für wen ich arbeite – Xin Zhu –, aber ich bin ihm noch nie begegnet. Ist mir auch lieber so.«
    Milo trat zum Becken neben Chaudhury und wusch sich die Hände. »Aussehen?«
    »He Qiang? Großer Typ, massig, aber nicht fett. Wie beschreibt man ein chinesisches Gesicht? Rund, schlitzäugig. Muttermal auf der Wange, das er sich mal wegschneiden lassen sollte.«
    Milo trocknete sich die Hände mit Papierhandtüchern ab und verließ die Toilette.
    Als er zurück zum Gate schlenderte und mit dem Handrücken ein Gähnen verdeckte, behielt ihn Leticia genau im Auge. Die Wirkung des Adrenalins ließ nach, und er war nur noch Matsch. Schwer ließ er sich neben ihr auf den Stuhl sinken.
    »Und?«, fragte sie.
    »Ich hab gepinkelt. Wo ist der Typ?«
    »Auf der Toilette, du Idiot!«
    Milo riss die Augen auf und deutete in die Richtung, aus der er gekommen war. »Auf dieser Toilette?«
    »Was treibst du für ein Spiel, verdammt?«
    In gespielter Verblüffung schüttelte Milo den Kopf. Dann nickte er. »Ah, da ist er ja.«
    Während über Lautsprecher angekündigt wurde, dass sich die Passagiere von Continental-Flug 50 zum Einsteigen bereithalten sollten, trat Chaudhury mit schnellen, entschlossenen Schritten aus der Toilette. Seine Haut war zwar dunkel, trotzdem war in der linken Gesichtshälfte eine deutliche Rötung zu erkennen. Seine Augen waren feucht und blutunterlaufen, und er drückte sich ein nasses Papierhandtuch an den Mund. Die roten Flecken auf dem weißen Papier waren sogar von ihrem Platz aus sichtbar. Dann machte er etwas, womit Milo nicht gerechnet hatte: Er ging. Er wandte sich vom Gate ab und verschwand.
    »Komisch«, meinte Milo.
    Blitzschnell packte Leticia ihn am rechten Arm, drehte seine Hand um und starrte auf die leuchtend roten, leicht geschwollenen Knöchel. Mit einem angewiderten Ächzen ließ sie ihn los. »Idiot.«
    »Du willst doch, dass sie uns folgen.«
    »Das ist der Plan.«
    »Na also. Jetzt werden sie sicher jemanden abkommandieren, der uns in Dschidda erwartet. Und bloß damit du Bescheid weißt, es sind die Chinesen.«
    Sie warf ihm einen Blick zu, den er nicht genau zuordnen konnte. War sie beeindruckt? War sie drauf und dran, ihn umzulegen? Er hatte keine Ahnung, doch in der müden Euphorie nach seinem Gewaltausbruch war ihm das gleichgültig. Er hatte einen Namen erfahren, der zu einem Gesicht gehörte, das er vor dem Feriencamp seiner Tochter gesehen hatte, und in Frankfurt bot sich ihm eine neue Gelegenheit. Immer mehr fühlte er sich wie ein Tourist.

13
    Er hatte acht Stunden zum Nachdenken. Objektiv betrachtet war das eine Menge Zeit, um Antworten zu finden oder um sich zumindest neu zu orientieren und die Dinge ins richtige Licht zu rücken. Doch als sie um zehn Uhr mit einer Dreiviertelstunde Verspätung in Frankfurt landeten, hatte er in keiner Hinsicht eine bessere Perspektive als vorher. Klarer vielleicht, aber bestimmt nicht besser.
    Als sie sich über die Atlantikküste erhoben, machte Milo ein kurzes Nickerchen, weil es nicht mehr anders ging. Im Bett neben der Leiche seines Vaters hatte er keinen Schlaf gefunden, und die eintägige Irrfahrt durch den Großraum New York mit zu vielen Margaritas hatte ihn genauso erschöpft wie die letzte Kraftanstrengung, mit der er Dennis Chaudhury verprügelt hatte. Als sich Leticia in das Unterhaltungssystem der Fluglinie einstöpselte, schloss er die Augen und war bald darauf eingeschlafen. Und in einem Park. Er hielt die Hand seiner Tochter und lief mit ihr davon.
    »Brauchst du vielleicht noch einen Drink, Baby?«, erkundigte sich Leticia, als er mit fuchtelnden Armen hochfuhr.
    Flugzeug. Leticia. Tief unten der Atlantik. Ein Drink war mit Sicherheit das Letzte, was er brauchte. Er machte die Augen wieder zu und versuchte, vernünftig zu denken. Wie ein Tourist.
    Sein dringlichstes Ziel war zunächst, die gesamte Situation danach zu sortieren, was er wusste, was er vermutete und wovon er keine Ahnung hatte. Auf dieser Basis konnte er dann hoffentlich einen brauchbaren Schlachtplan entwerfen.
    Zum Beispiel wusste er, dass seine Frau und Tochter nicht mehr

Weitere Kostenlose Bücher