Die Spionin im Kurbad
für mich, also musste ich nahe dranbleiben.
» Nicht nur der Zar, Vincent, hält sich hier auf, nicht wahr? Auch Kaiser Wilhelm flaniert gerne in ziviler Kleidung die Straßen entlang.«
» Er hat so seine Schrullen, das ist richtig.«
» Du kennst ihn näher?«
Diesmal lachte Vincent und wirkte gar nicht steif.
» Du gibst nicht auf, was?«
» Du doch auch nicht. Vergiss nicht, auch ich kenne deine Methoden.«
» Auch sie bewährten sich – einst.«
» Aha. Nun nicht mehr.«
» Der Krieg ist vorüber.«
» Wenn du meinst.«
» Wir haben gesiegt.«
» Um einen hohen Preis. Und es gibt lose Enden, noch immer, nicht wahr?«
Vincent schwieg. Wir hatten das Ende der Brücke erreicht. Und hier sagte er plötzlich: » Touché!«
» Dacht ich es mir doch.«
» Du wirst gelegentlich in der Gesellschaft eines Herrn mit Augenklappe gesehen.«
» Tatsächlich.« Sie lachte heiser. » Möchtest du dich mit ihm duellieren?«
» Selbst wenn ich einen Grund hätte – doch nicht mit einem Einäugigen.«
» Chevalier de Mort ist auch mit einem Auge gefährlich.«
» Chevalier de Mort, der Ritter des Todes. Ein Name von Bedeutung, möchte man denken.«
Was er sich dachte, erfuhr ich leider nicht mehr. Denn in diesem Moment tauchte ein riesenhafter schwarzer Kater vor mir auf. Die Augen glühten, sein Gebiss leuchtete im Laternenschein, er knurrte mich an.
Rattenschiss, ich hatte die Reviermarke nicht beachtet.
Auf den Hinterpfoten machte ich kehrt und raste über die Brücke zurück. Er hinter mir her. Ich auf einen Baum. Er unten. Drohungen ausstoßend.
Nein, keinen Kampf. Jetzt nicht. Noch taten mir die Rippen weh nach der hastigen Flucht.
Ich kreischte ein paar Beleidigungen zurück, mehr der Form halber. Schließlich war ich der Eindringling.
Nachdem er mir im Gegenzug verbal das Fell über die Ohren gezogen hatte, machte er kehrt. Stolz, geschmeidig, gefährlich. Die weißen Pfoten schimmerten.
Romanow, der Vater meiner Kinder.
Freunde waren wir indessen nie gewesen. Aber zwei, drei atemberaubende Nächte lang hatte uns Leidenschaft verbunden.
Ich blieb eine Weile auf dem Ast sitzen und wartete, bis mein Keuchen sich gelegt hatte. Dann machte ich mich ganz vorsichtig an den Abstieg. Hier war ich auf eigenem Gebiet – zumindest bis zum Morgengrauen. Dann würden andere ihr Wege- und Jagdrecht geltend machen. Ich fand eine geschützte Stelle und bürstete erst einmal die wehe Stelle. Ich schnurrte ein bisschen dazu. Danach ging es mir wieder gut genug, dass ich das Belauschte überdenken konnte.
Olga und Vincent kannten sich von früher. Sie waren sehr vertraut miteinander – Menschen redeten sich nicht oft mit Du an. Sie hatten so ihre eigenen Formen und Hierarchien, zwar anders als Katzen, aber das musste man ihnen eben auch zubilligen. Nur enge Verwandte, kleine Kinder oder Dienstboten wurden geduzt. Dass die Heisere mit dem Steifnackigen verwandt war, glaubte ich nicht. Aber so etwas wie Romanow und mich verband sie vermutlich auch. Das Gespräch, das sie miteinander geführt hatten, handelte von Reviergrenzen. Auch wenn mir nicht ganz klar war, in welcher Weise diese Reviere existierten. Wir haben räumliche und zeitliche Grenzen, mir kam es aber so vor, als ob die beiden auch Interessengebiete verteidigten. Interessen, die sie vor einiger Zeit gemeinsam gehabt hatten. Und so, wie Olga gurrte, hatte auch Leidenschaft mal dazugehört.
Auf jeden Fall aber war Vincent vollkommen klar, dass Olga den Leuten etwas vorspielte. Und sie hatte ihn auch flugs durchschaut.
Und sie spielten beide der Welt etwas vor, weil sie hinter Beute her waren.
Möglicherweise hinter derselben. Schade, darüber hätte ich gerne mehr gewusst, und wahrscheinlich hatten sie drüben, am anderen Ufer, auch darüber gesprochen.
Das leise Plätschern der Wellen am Ufer machte mich schläfrig. Ich döste eine Weile vor mich hin, doch lange war mir die genussvolle Ruhe nicht vergönnt.
Ein Schluchzen ließ mich aufmerken.
Das Schluchzen einer Frau!
Altea?
Nein, nicht Altea. Ein anderes Weib stand an der Brücke und vergoss Tränen in ein Tüchlein. Bittere Tränen. Ich wollte eben um ihre Röcke streichen – nur so zum Trost –, als sie mit geschwinden Schritten auf die Mitte der Brücke zueilte. Dort blieb sie stehen und lehnte sich weit über das Geländer.
Ich trottete hinterher – die Neugier, Sie verstehen?
Das Schluchzen war in ein heiseres Stöhnen übergegangen, und mit einem Mal begann die Frau, das Gitter
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