Die Sprache des Feuers - Roman
zündet eine neue an. Dreht sich gegen den Wind und hält die Hand vors Streichholz. Nachdem er den ersten Zug genommen hat, sagt er: »Lass die Karre einfach laufen.«
»Kann ich nicht.«
Drinnen in Billys Büro klingelt das Telefon. »Das ist wahrscheinlich wieder Herlihy. Vertrieb, Rechte, Schäden, die SEE , alle prügeln auf mich ein wegen dieser Sache.«
»Dann rede lieber mit ihnen.«
»Geh nicht weg.«
»Ich bleibe hier sitzen, bis mich die Geier fressen.«
Jack nimmt die Akten vom Stuhl und setzt sich hin.
97
Letty sitzt im Auto und trinkt einen letzten Schluck Kaffee.
Sie hätte Besseres zu tun, als sich mitten im Cleveland Forest mit einem vietnamesischen Nachwuchsganoven zu treffen.
Obwohl ich mir das selber eingebrockt habe, denkt sie und schiebt den leeren Becher unter den Fahrersitz. Ich will schließlich wissen, wo seine beiden Freunde abgeblieben sind.
Mit ihrer Werkstattrazzia hat sie den Bezirksanwalt scharfgemacht, die Taskforce Bandenkriminalität und den Bewährungshelfer dieses kleinen Halunken. Außerdem hat sie drei weitere Werkstätten hochgehen lassen, eine Spielhölle und einen Massagesalon, um Onkel Nguyen ein bisschen Dampf zu machen. Daher war sie nicht sonderlich überrascht, als der Anruf kam.
Sie steigt aus dem Auto und läuft den Wanderweg hinauf, wo sie Tony Ky schon stehen sieht, das heißt, er steht nicht, er tanzt. Er macht den Informantentanz.
Der Informantentanz ist ein etwas sonderbarer Twostep: ein kleiner Doppelhüpfer auf dem linken Bein, dann Gewichtsverlagerung und ein kleiner Doppelhüpfer auf dem rechten Bein –Hände in den Taschen, hochgezogene Schultern, rhythmisches Schwenken des Kopfes. Letty verfolgt den Tanz und registriert mit einiger Genugtuung, dass der Knabe Schiss hat.
Prima, denkt sie, geschieht ihm recht. Vielleicht sucht er sich am Ende doch einen ehrlichen Job.
Tony hat gewaltig Schiss. Ist offenbar nicht gewohnt zu plaudern, selbst wenn es um seine zwei verschwundenen Freunde geht. Und diese Woche war echt die Hölle für ihn. Erst fliegt die Werkstatt auf, zum großen Ärger von Onkel Nguyen, und Tony denkt noch, er ist mit einem blauen Auge davongekommen. Dann nimmt ihn der Bezirksanwalt wegen Do und Tranh in die Mangel und will ihm irgendeine Verschwörung anhängen, danach der Mann von der Bandenkriminalität, der was von Organisiertem Verbrechen faselt, und schließlich kommt noch der Bewährungshelfer und lässt durchblicken, dass er gar nichts verbocken muss, um in den Bau zurückzugehen, dass es reicht, wenn er mit den anderen Jungs gesehen wird ...
Als wäre das alles noch nicht beschissen genug, taucht Onkel Nguyen persönlich bei ihm auf und will, dass er sofort, wenn nicht noch schneller, ausspuckt, wo diese Idioten Do und Tranh abgeblieben sind, und als Onkel Nguyen hört, dass sie irgendeine Fuhre für die Russen gemacht haben, tickt er regelrecht aus und befiehlt ihm, was total Irres zu machen, nämlich diese Polizeizicke anzurufen und ihr das zu erzählen. Als er zurückfragt Waaas? , meint Onkel Nguyen nur: Tu, was ich dir sage, du machst mir so schon genug Ärger, ich will die Zicke los sein . Also trifft er sich mit der Zicke.
Was insofern okay wäre – irre, aber okay –, hätte ihn der Russe nicht schon wieder abgefangen und gefragt: Hast du mit den Bullen geredet? Und Tony: Wieso, ich rede nie mit Bullen . Worauf der Russe sagt: Dann wirst du’s jetzt tun. Mach ein Treffen mit den Bullen und rede . Und Tony wieder: Waaas?
Aber der Russe sagt nur: Parieren oder krepieren .
All das macht vielleicht erklärlich, dass Tony ein bisschenzapplig wirkt, als er da mitten in der Landschaft auf die Polizistin wartet.
98
Billy kommt wieder raus und sagt: »Sie zahlen morgen früh. Mit mir oder ohne mich.«
»Ziehst du mit oder nicht?«
»Das muss ich mir noch überlegen.«
»Klar.«
»Und du?«
»Ich bin weg.«
»Jack«, sagt Billy, »als Regulierer kriegst du niemals wieder einen Job.«
»Den will ich auch nicht.«
»Was willst du denn sonst?«
»Weiß ich noch nicht«, sagt Jack. »Vielleicht wieder zum Bau.«
Billy verzieht gequält das Gesicht. Kämpft gegen den Wind, weil er sich eine anzünden will, und sagt: »Schlaf noch mal drüber, verdammt. Lass dich ein paar Tage krankschreiben.«
»Scheiß drauf, Billy. Krank bin ich schon lange.«
Sagt es und geht ab.
Wütend.
Im Foyer streckt die Empfangsdame ihr Kinn in Richtung Besucherbank und sagt: »Olivia Hathaway. Für Sie.«
»Nicht
Weitere Kostenlose Bücher