Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
Grundfläche und vermittelt ein intensives Gefühl von Eingesperrtsein. So muss sich Cheops gefühlt haben, als er das erste Mal seine spätere Grabkammer in der großen Gizeh-Pyramide begutachtete, wohl wissend, dass sich gerade ein Großteil der insgesamt 6,25 Millionen Tonnen Stein über seinem königlichen Kopf befinden musste. Carsten schüttelt sich und versucht, der finsteren Gedanken in seinem Kopf Herr zu werden. Zumindest sein Atem beruhigt sich wieder.
Was Carsten wie ein schwarzes Loch vorkommt, ist für Doktor zu Hülshoff nicht mehr und nicht weniger als ein Arbeitsplatz. Unbeeindruckt steht er vor dem großen Monitor und hackt in die Tasten des Terminals. Unzählige Datenreihen in verschiedenen Farben und Größen jagen grüppchenweise über den Bildschirm, in dessen Mitte die große schematische Darstellung eines DNA-Strangs zu sehen ist, dessen Details sich immer mehr vervollständigen. Schließlich drückt Doktor zu Hülshoff mit dem affektiert ausgestrecktem kleinen Finger seiner Rechten ein letztes Mal die Eingabetaste. Dann wendet er sich an Carsten. Seine Augen flackern unbeständig.
«Ich bin nur ungern Überbringer schlechter Nachrichten, Herr … Meyer, aber ich fürchte, hier bin ich mit meinem Latein am Ende.»
Carsten spürt, wie sich tief in ihm drin ein Spalt auftut, größer wird und mit flüssigem Stickstoff füllt.
«Was wollen Sie damit sagen?» Es gelingt Carsten nur unzureichend, den drohenden Unterton in seiner Frage zu unterschlagen, was glitzernde Schweißperlen auf die Stirn des Wissenschaftlers zaubert.
«Sehen Sie, ich habe es ja bereits angedeutet. Bei Ihrer Frau liegt eine schwere myeloablative Funktionsstörung des blutbildenden Systems vor. Die Bestimmung des Grades der Vorschädigung, die ich gerade vorgenommen habe, hat ergeben, dass in diesem Fall nur eine autologe Transplantation Hilfe bringen kann. Nur so wird eine ausreichende Knochenmarksfunktion wiederhergestellt, die wiederum unabdingbar für unsere Therapie ist. Die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche allogene Transplantation jedoch – und damit kommen wir zum Kernproblem der Angelegenheit – ist die Verfügbarkeit eines geeigneten Spenders .»
«Gibt es denn keine geeigneten Spender?»
«Wahrscheinlich jede Menge. Nur nicht hier.»
«Und wenn ich …»
«Seien Sie nicht naiv. Damit eine Transplantation Erfolg haben kann, müssen bestimmte Gewebemerkmale, die sogenannten HLA-Typen, übereinstimmen, in diesem Fall zwar nur zu einem geringen Prozentsatz, aber immerhin. Je besser Spender und Empfänger übereinstimmen, desto größer die Erfolgsaussicht. Umgekehrt sinkt mit jedem HLA-Mismatch die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Zellrekonstruktion.»
Carsten ist stumm geworden. Nach einer Weile greift er in die hintere rechte Gesäßtasche und zieht ein zusammengefaltetes Blatt heraus, klappt es auf und reicht es dem Wissenschaftler.
«Hier. Habe ich machen lassen, als ich noch dachte, Mandy könnte geholfen werden. Mit einer Knochenmarkspende und so.»
Doktor zu Hülshoff nimmt das zerknitterte Blatt mit sichtlichem Abscheu entgegen und beginnt die kleingedruckte Schrift zu überfliegen. Schon nach zehn Sekunden versteift er sich, sein linker Zeigefinger beginnt einige Zeilen nachzufahren. Dann schaut er hoch. Mit der großen Brille sieht er aus wie ein Clownlehrling bei der Gesellenprüfung.
« Sie haben die HLA-Werte bestimmen lassen?»
«Blutgruppe und alles Mögliche andere. Keine Ahnung. Dachte damals, es könnte nützlich sein.»
«Ist es auch. Die Blutgruppe ist egal, die HLA-Merkmale sind es nicht .»
Der Doktor rattert eine Befehlsfolge in die Tastatur und beäugt die Datenreihen, die der Monitor auf seine Anweisung hin ausspuckt. Dann beginnt er die Daten auf dem Bildschirm mit dem Ausdruck zu vergleichen. Sein Kopf geht dabei auf und nieder wie ein Jo-Jo.
«Wie ich dachte, sind die Werte hart an der Kante, Herr … Meyer. – Aber es ist nicht unmöglich .»
Eine warme, weiche Woge der Hoffnung spült durch Carstens Körper und erzeugt ein prickelndes Gefühl in den Extremitäten. Seine Stimme ist heiser geworden.
«Was muss ich tun?»
Doktor zu Hülshoff hat auf einem der obligatorischen Rollhocker Platz genommen, er hält die Ausdrucke mit spitzen Fingern an der oberen Ecke.
«Spenden. Und zwar in diesem Fall nicht die üblichen tausend Milliliter, sondern wenigstens das Dreifache von …»
«Ich spende so viel, wie Sie wollen.»
«Lassen Sie mich ausreden!
Weitere Kostenlose Bücher