Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
Kofferträgern abgetaucht, keiner geht ans Fon. Minuten schleppen sich dahin wie durstige Tiere auf der Suche nach einem Wasserloch. Unerträglich. Der Blick auf die schäbigen, alten Bettentürme des Klinikums ist nach wie vor keine Erbauung und das Wetter ist eine Materie gewordene Unverschämtheit, auch für Münsteraner Verhältnisse. Hohe Ward holt aus und schlägt mit der geballten rechten Faust auf die Kalksandsteinplatte des Tisches. Autsch, schlechte Wahl. Er wirft probeweise ein paar Stühle um. Besser, aber nicht gut genug. Er muss an seine Frau denken und an den Einlauf, den er ihr heute Nachmittag im nicht nur übertragenen Sinn verabreicht hat. Dieser krachdämliche Perückenständer mit Kaufzwangneurose. Hundertfünfzigtausend große Steine hat sie für den Hirschley abgezweigt, ohne auch nur einen Ton verlauten zu lassen. Wofür reißt er sich – und seiner Frau, haha – eigentlich den Arsch auf. Ist er hier der Melker der Münsteraner Geldkühe, oder was? Eins ist klar: Wenn die Nummer mit der Zellreparatur wirklich funktioniert – und davon ist er überzeugt –, dann wird Klein-Constanze nicht mit auf die Reise in die Ewigkeit gehen. Allein der Gedanke, ihr inhaltsloses Gefasel bis ans Ende aller Tage anhören zu müssen, revitalisiert Mordinstinkte in ihm. Nein, nein, Constanze wird abgeschoben, auf irgendeine Beautyfarm mit geriatrischer Abteilung, und darf dort bis zum Ausklang eines hoffentlich nicht mehr allzu langen Lebens an ihrer Faltensammlung arbeiten. Und wenn er persönlich einen Dispens beim Papst einholen muss. Der passende Ersatz? Vielleicht Theisings Tochter Rubine, das kleine Luder, rücksichtslos intelligent und frettchenscharf. Eine Schönheit, wenn man auf dralle, sommersprossige Gutsfrauchen steht, aber das ist genau sein Geschmack. Drall und zu allem bereit. Hohe Ward stellt sich vor, wie Ruby, in leicht gerüschte Puffwäsche gewandet, auf allen Vieren vor ihm hockt und ihre pralle Kiste hochhält. Schweinegeil. Er verdrängt das Bild gewaltsam. Wäre doch peinlich, wenn die Herren zurückkämen und ihn mit einer Beule in der Hose erwischen würden. Diese Saftsäcke. Eine Viertelstunde gibt er ihnen noch, dann ist Schluss.
xci Hundstage
Irgendwie muss Carstens Herz aus Versehen zu schlagen vergessen haben, denn er fällt in eine vorübergehende wattige Leere. Als er die Augen wieder aufschlägt, ist der dusselige Köter immer noch da, macht Kapriolen, rennt hinter seinem Schwanz her, hechelt laut, macht Männchen, schmeißt sich auf den Rücken, springt wieder auf die Pfoten, reckt den Hintern in die Luft und streckt die kleine schwarze Nudel, die den Namen Schwanz kaum verdient, steil nach oben, um sie dort ruckartig hin und her zu bewegen. Die ganze Zeit hängt eine tropfnasse Zunge meterlang aus dem Maul und sabbert alles voll. Widerlich. Carsten schüttelt den Kopf und versucht sich zu konzentrieren, nicht einfach, wenn eimerweise glühende Lava durch den Körper schwappt. Hat der Hund etwas gesagt oder hat er sich das nur eingebildet, frühe Anzeichen eines späteren Deliriums, der Anfang vom Ende, kleiner Scherz der Großhirnrinde. Gerade als Carsten das Ganze als Hirngespinst einer zu alten Murmel abtun will, fängt der Köter wieder an zu quatschen.
«He, redest du nicht mit jedem? Ich habe dich etwas gefragt.»
Carsten schüttelt sich erneut. Eine Bewegung, deren Amplitude direkt proportional zur Intensität seiner Schmerzen ist. Er muss einen klaren Kopf bekommen, so wie er jetzt ist, nützt er ihm nichts. Er greift mit der freien Hand vorsichtig nach oben und reibt sich die Augen. Der Hund ist immer noch da. Er hat sich auf die Hinterläufe gesetzt, die Vorderpfoten artig nebeneinander gestellt und mustert Carsten mit nachdenklich auf die Seite gelegtem Kopf. Carsten reibt noch ein bisschen weiter. Jetzt tränen ihm die Augen. Er hebt die Hand zum Ohr und schnipst mit Daumen und Mittelfinger. Es klingt genauso, wie ein Schnipsen mit Daumen und Mittelfinger klingen muss. Der Köter legt den Kopf noch ein wenig schiefer. Er sieht aus wie der Chefpsychiater bei der Morgenvisite in einem Irrenhaus für Hunde. Carsten tut ihm den Gefallen und beginnt verstört vor sich hin zu kichern. Der Köter bleibt gelassen. Carsten macht die Husch-husch-ins-Körbchen-Handbewegung. Ohne Erfolg, der Köter bleibt. Carsten beschließt, dem Wahnsinn versöhnlich die Hand zu reichen. Aber wie? Er kann noch nicht einmal mit einem echten Kater reden, geschweige denn mit einem
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