Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
in Richtung Schleuse. Zurück auf dem Boden bleibt – zugleich Mahnung und Herausforderung für die Reinigungskräfte – eine breite Spur aus rotem Schmier. Kurz darauf zischt die Schleuse und fährt auf. Auf dem Boden der Kammer liegt Grothues, in einem grotesken Winkel zusammengefaltet, darauf hockt Ederim, schwarz und fett wie ein Flaschenteufel. Erstaunlich gelenkig springt er heraus.
«Steh nicht dumm herum! Fass mal mit an!»
Carsten tut, wie ihm geheißen und schon kurz darauf blutet Grothues den Boden der Glastorte voll. Ederim hat das Kampfmesser aus der Scheide an Grothues Bein herausgezogen und schneidet großzügig Kampfanzug und Unterwäsche um die verletzte Schulter herum weg. Die Austrittswunde hat einen Durchmesser von mindestens zehn Zentimetern und sieht unschön aus.
«Kein Steckschuss. Immerhin schon mal was Positives.»
«Das scheint mir aber auch das einzig Positive zu sein.»
Erkan Ederim ist hinüber zu den Schränken gegangen, öffnet den ersten und fängt an, die Schubladen zu inspizieren. Kurz darauf kommt er mit einer Kompresse und mehreren Mullbinden zurück. Er beginnt die Wunde zu versorgen.
«Wird er es schaffen?»
«Wird er was schaffen?»
«Zu überleben, meine ich.»
«Schwer zu sagen. Ich wills mal so ausdrücken: Die Chance zu überleben liegt für ihn bei vielleicht dreißig Prozent, die Chance, uns zu überleben bei siebzig.»
«Du meinst, wir sollten uns ergeben?
«Ergeben? Du hast sie wohl nicht alle. Was meinst du, was die mit mir machen würden?»
«Hast du eine bessere Idee?»
«Ich denke schon. Habe ich dir nicht unlängst beigebracht, dass die wahre Kunst der Kriegsführung in der Abschreckung liegt?»
«Ich sehe nicht, wie uns die Kunst der Abschreckung jetzt weiter bringen könnte.»
«Das liegt daran, dass du ein fantasieloser Mensch bist.»
«Aber du!»
«Na ja, eigentlich bin ich mehr ein Mensch der vorausschauenden Planung.»
Erkan Ederim greift in seine Hosentasche und zieht einen kleinen rechteckigen Gegenstand heraus, der in ein schmutziges Taschentuch eingewickelt ist. Vorsichtig schlägt er die Seiten des Tuches zur Seite. In seiner Hand liegt ein Klumpen blaue Plastikmasse, die Carsten verdächtig an das Zeug erinnert, das Mandy auf Hohe Wards Schweineparty unter der Joppe trug. Daneben liegt ein Stift, der sicher nicht dafür gedacht ist, geflügelte Worte zu Papier zu bringen.
«Wo hast du das Zeug her?»
«Aus dem Kühlschrank der Asservatenkammer. Ich dachte, dass ein wenig pyrotechnische Unterstützung nötig sein könnte.»
Er drückt das blaue Päckchen in Augenhöhe an die Scheibe des Labors, steckt den Stift in das Päckchen und dreht den oberen Teil so herum, dass Carsten einen ergiebigen Blick auf das Orange blinkende Lämpchen werfen kann, dann dreht er den Stift erneut um hundertachtzig Grad.
«Das wird sie abhalten, zu neugierig zu sein. Hoffe ich zumindest.»
«Und was machen wir?»
«Frag Doktor von und zu. Ist gerade aufgewacht.»
Carsten dreht sich um. Tatsächlich ist Doktor zu Hülshoff wieder bei Bewusstsein, wenn der Allgemeinzustand auch schlecht zu sein scheint. Auch mental hat der Wissenschaftler einen kleinen Rückschlag verkraften müssen, denn als er Carsten sieht, versucht er sich wimmernd unter dem Behandlungsmöbel zu verstecken.
«Ich glaube, ich bin im falschen Film. Scheinbar müssen wir uns der Kooperationsbereitschaft unseres Doktors immer wieder aufs Neue versichern. Erkan, wärst du so freundlich, mir einmal das Messer zu borgen?»
Er geht in die Hocke und schiebt die Spitze der Klinge seelenruhig in Doktor zu Hülshoffs linkes Nasenloch. Ein schmaler Streifen Blut läuft über die Wange und verschwindet in der Halsgegend.
«Apropos Film: Haben Sie eigentlich mal Polanskis Chinatown gesehen?»
lxxxv Im Auge des Sturms
Doktor zu Hülshoff scheint in der Kunst, anderen gefällig zu sein, deutliche Fortschritte gemacht zu haben. Nach dem klärenden Gespräch unter Zuhilfenahme des Kampfmessers ist jede Verstocktheit rückstandsfrei verpufft.
«Ich denke, dass es unserer professionellen Beziehung gut tun würde, wenn wir das Geschehene einfach vergessen und noch einmal bei null anfangen würden, finden Sie nicht auch, Herr Doktor zu Hülshoff?» Ohne eine Reaktion abzuwarten, fährt Carsten fort. «Wie Sie wissen, hat meine Frau ein gesundheitliches Problem. Ich denke, dass Sie ihr bei der Überwindung dieses Problems helfen können, nein, sollten. Können und sollten, wollte ich sagen. –
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