Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
schwerer.
«Sie sehen mir nicht aus, als könnten Sie verstehen, was wir hier tun. Nur so viel: Um die gewünschte Konstellation in den Kernen zu erreichen, werden die nötigen Moleküle in der Fusionskammer unseres Teilchenbeschleunigers zusammengeschossen. Damit das funktionieren kann, müssen wir die Bewegung der einzelnen Atome soweit verlangsamen, dass wir sie zu fassen bekommen. Das erreichen wir, indem wir die Kammer, die übrigens nur so groß ist wie ein Tennisball, auf minus einhundertzweiundfünfzig Grad herunter kühlen. Parallel dazu setzt der Mikroassembler den Virus zusammen. Soweit verstanden ?»
Carsten hat kein Wort von dem verstanden, was der Wissenschaftler in seiner bekannt selbstgefälligen Art zum Besten gegeben hat. Das liegt allerdings nicht an der Komplexität des Stoffes selbst, als vielmehr an Elias Grothues, der es geschafft hat aus der Ohnmacht zu erwachen, eine gemein aussehende Pistole aus einem Kunststoffholster am Bein zu ziehen und auf Carsten zu richten. Carsten reißt den Mund auf, als er sieht, wie sich Grothues‘ Zeigefinger langsam krümmt. Genau in dem Moment, als der Schuss durch den Raum peitscht, richtet sich Doktor zu Hülshoff auf, sodass die Kugel auf dem Weg zu Carsten zunächst in den Kopf des Wissenschaftlers eindringt, dort abgelenkt wird und in einem Sprühnebel aus Blut und Gehirnmasse an Carsten vorbei sirrt, nicht ohne ihm noch eine kleine Kerbe ins Ohr zu schnitzen. Während der Körper des Wissenschaftlers vom Geist befreit langsam zu Boden sinkt, hat Carsten den Lauf des MP14 hochgerissen und den Abzug durchgezogen. Eine Garbe von Hochgeschwindigkeitsgeschossen verlässt den Lauf fast rückstoßfrei und vollendet, was Erkan Ederim begonnen, aber nicht zu Ende geführt hat.
lxxxix Diamonds are forever
Die Zeit ist stehen geblieben. Zumindest kommt es Carsten so vor. Das mag daran liegen, dass der jüngste Adrenalinflash die kreischenden Schmerzen in seinem Körper zu einem synaptischen Heulen herunter gedimmt hat, vielleicht hat seine Großhirnrinde aber auch eine Auszeit genommen. Ein kurzer Urlaub des Geistes, damit der Körper sich auf das Unausweichliche vorbereiten kann, den letzten Bus, die große Reise ohne Wiederkehr, endgültige Erosion, Staub, Aschenhaufen. Im Labor sieht es aus wie in einem Front-Militärlazarett nach der Rush-Hour. Elias Grothues‘ drahtiger Soldatenkörper ist durch den kurzen Feuerstoß in einen organischen Sperrmüllhaufen verwandelt worden, der ziemlich unappetitlich anzuschauen ist und nicht reparabel scheint, mit welchem Werkzeug auch immer. Doktor zu Hülshoff – und das ist es, was Carstens Lebenswillen geradezu pulverisiert hat – liegt mit grotesk verbogenen Armen vor ihm auf dem Boden, über der lächerlich großen Brille ein schönes neues Auge, eine blutige Kreuzung von Eule mit Zyklop und ganz sicher ebenso tot wie die Hoffnung auf ein Happy End jenseits der Eisfabrik. Es ist unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen, zu einer sinnvollen Entscheidung zu gelangen, denn die sich bietenden Alternativen sind allesamt abgrundtief deprimierend, Mandy regungslos wie ein Komapatient, Carsten aufgespießt wie ein Schmetterling in einem Sammelkasten, der Fluchtweg sicher versperrt und der Zorn der vermeintlich Gerechten gewiss. Alles in allem keine Grundlage für eine Erfolg versprechende mittelfristige Planung. Gerade als Carsten überlegt, welche Konsequenzen es haben könnte, wenn er die stricknadeldicke Punktionsnadel aus seinem Körper zöge, beginnt sich der Monitor über seinem Kopf an seinem Stativ zu bewegen und in eine Position frontal zu ihm fahren. Carsten blickt in das pulsierende rote Auge einer Kamera. Die Grafik, die den Transfusionsfortschritt dokumentiert, ist verschwunden. An ihre Stelle ist ein Hundekopf getreten, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit Mickeys altem Kumpel Pluto hat. Der Köter stellt die Spaghettiohren auf und leckt sich mit einer großen, feuchten Zunge über die Schnauze, dann wendet er den Kopf zur Seite und mustert Carsten mit einem aufgerissenen rechten Auge, dessen Pupille unter einer dünnen hochgezogenen Braue hin und her rollt. Die Frage ist wie ein feuchter Kuss.
«Bist du ein Freund von Ursula?»
xc Der Schatten der Macht
Freiherr von der Hohen Ward hat seine Patek Philippe auf den Konferenztisch geworfen und mustert sie mit einem finsteren Blick. Es geht und geht nicht voran. Theising ist immer noch nicht aufgetaucht, Hellström ist mit Grothues und seinen beiden
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