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Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Titel: Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiner Wacker
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sich in einem unbedachten Moment über seine Augen zu legen. Mandy hat ihre Stirn zu einem Beet sorgenvoller Falten umfunktioniert.
    «Mehr geht nicht, Klunckerchen. Außer du willst, dass dir die Pumpe aus der Fassung springt. Du musst einfach durchhalten.»
    Carsten hustet spröde, bevor er antwortet. Das Weiße seiner Augen ist mit kleinen, bunten Äderchen marmoriert.
    «Das ist leichter gesagt als getan. Ich kann meine Beine kaum noch spüren.»
    «Komm, Tiger! Nur noch zwei Absätze, dann haben wir es geschafft.»
    «Was haben wir denn geschafft? Wir sind wieder da, wo wir angefangen haben.»
    Ein dumpfes richtungsloses Knattern unterbricht das Gespräch.
    «Was war das jetzt schon wieder?»
    Man merkt Mandy-Ursula an, dass es ihr schwerfällt, die altbekannte Fassade von Grundheiterkeit gepaart mit Optimismus aufrecht zu erhalten. Im konturlosen Licht der Treppenhausbeleuchtung wirkt ihr Gesicht eckig und abgespannt, das Gesicht einer Frau, die auf die Siebzig zugeht, und die noch vor Kurzem nicht die Hoffnung hatte, dieses Alter je zu erreichen. Carsten möchte eigentlich nur nett sein, aber die Situation gibt es nicht her.
    «Das waren Schüsse.»
    «Das heißt, dass wir vom Regen in die Traufe gekommen sind?»
    «Könnte sein.»
    «Scheiße.»
    Aus Mandy-Ursulas Mund klingt das alte Standard-Schimpfwort unpassend, ist in Beurteilung der Gesamtlage aber durchaus angemessen. Carsten reißt sich zusammen, so gut es geht. Mandy-Ursula braucht ihn jetzt.
    «Kopf hoch, Zuckerschnecke! Wir sind auch nicht ganz nackt.» Carsten klopft auf das MP14, das wie ein toter Ast von seiner Schulter hängt. «Wir sind schon so weit gekommen, wir schaffen auch den Rest.»
    Nicht, dass Carsten glauben würde, was er sagt. Andererseits gab es in seinem früheren Leben Situationen, die zumindest ebenso hoffnungslos waren wie diese, wenn nicht schlimmer. Es gibt nur einen winzigen Unterschied: Damals war er jünger. Einen kurzen Moment wandern seine Gedanken zurück, dann gibt er sich einen Ruck, nimmt Mandy-Ursulas Hand und macht sich an die letzten Höhenmeter. Erstaunlicherweise lässt sich die Feuertür vom Treppenhaus aus öffnen. Logisch ist es nicht, aber Carsten will nicht darüber nachdenken. Er öffnet die Tür einen Spalt und wirft einen vorsichtigen Blick in den Raum dahinter. Der Eingang zum Treppenhaus ist auch hier um einige Meter zurückgesetzt und bietet einen gewissen Sichtschutz. Bevor Carsten durch die Tür schleicht, prüft er noch den Feuerstatus seines MP14. Entsichert und Einzelschuss. Wie viel Munition noch im Magazin ist, kann er nicht erkennen. Er weiß nur eins: Ersatz ist nicht vorhanden. Er muss mit dem klarkommen, was er hat. Mandy-Ursula ist ihm auf dem Fuß gefolgt. Noch bevor sie einen gemeinsamen Blick um die Ecke in die vor ihnen liegende Halle des Teilchenbeschleunigers werfen können, wird erneut geschossen. Zwischen das helle Bellen einer automatischen Pistole mischt sich der sonore Bariton einer großkalibrigen Flinte. Der trockene Hall der Schüsse wird überlagert vom giftigen Zischen der Querschläger. Carsten ist in die Knie gegangen und versucht die Lage zu peilen.
    «Kannst du etwas erkennen?», fragt Mandy-Ursula im Flüsterton. Sie ist gleichfalls in die Hocke gegangen, traut sich aber nicht aus der Deckung. Carsten antwortet nicht. Gerade als Mandy-Ursula die Frage wiederholen will, zieht er seinen Kopf zurück und lässt sich neben ihr auf den Boden sinken.
    «Das musst du dir selber ansehen», sagt er leise.
    Mandy-Ursula runzelt die Stirn, zögert einen Moment, schiebt sich dann aber doch vorsichtig an Carsten vorbei. Eine Weile hört man nur ihren leisen, abgehackten Atem, dann kriecht sie vorsichtig zurück und lässt sich neben Carsten auf den Boden sinken.
    «Und?»
    «Ich kann es nicht fassen. Wir sind auf einem gottverdammten Kostümfest.»

cx Jeder gegen jeden
    Freiherr von der Hohen Ward tanzen feurige Räder vor den Augen. Ob es der Blutverlust ist oder der bis weit über jede vernünftige Grenze erhöhte Blutdruck ist unklar. Wahrscheinlich liegt es an beidem und noch an einem bisschen mehr. Angstattacken wechseln sich ab mit Mordlustgefühlen, die anschwellen und wieder verebben, mal stärker, mal schwächer sind, aber immer präsent. Das Cape mit dem schmucken Malteserkreuz ist linksseitig in rote Farbe getränkt, seine dicken Finger, die Schaft und Lauf seiner Bockflinte umklammern, sind klebrig vom Blut. Wie konnte es nur so weit kommen? Wie konnte er nur so

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