Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
spät.
cxiv Letzte Runde
«Hallo Carsten, alte Teppichtasche, schön dich zu sehen.» Horst Gerlach hat mit müder Bewegung den Stimmverzerrer von seinem Kehlkopf gewischt, die Stimme ist leise, aber klar. Auf seinen Lippen tanzen schaumige, kleine Bläschen aus hellem Blut. «Hallo Mandy, oder soll ich lieber Ursula sagen?»
«Sag am besten gar nichts.»
«Du siehst gut aus. Was ist passiert? Hat es geklappt?»
Mandy antwortet nicht. Sie ist in die Knie gegangen und tastet vorsichtig nach der Eintrittswunde in Horsts Brustkorb. Es ist ein glatter Lungendurchschuss. Carsten steht mit offenem Mund vor seinem alten Kumpel und sagt nichts. Schließlich kann er es nicht mehr aushalten.
«Mensch, Horst! Was machst du hier, was soll das?»
«Wonach sieht es denn aus?»
«Mandy, ich meine Ursula – Scheiße noch mal – also … Stimmt das? Ich meine, mit den Sprengmeistern. Bist du einer von denen?»
«Muss wohl.»
«Aber ich verstehe gar nicht, was das soll. Ich meine, du warst … wir waren …»
«Glücklich und zufrieden? Du vielleicht. Aber auch erst, nachdem Mandy aufgetaucht ist. Vorher hattest du nämlich auch die Schnauze voll. Sei wenigstens ehrlich.»
Carsten fängt an zu heulen, sehr weicheimäßig, aber er kann nicht anders. Seine Stimme stolpert von Wort zu Wort.
«Schnauze voll – haben heißt – doch – nicht gleich Massenmord. Ich meine, ihr habt reihenweise Leute in die Luft gesprengt. Ich hätte beinahe auch daran glauben müssen, schon vergessen? Und du säufst mir das Bier weg, machst einen auf Kumpel und verarschst mich die ganze Zeit. Das machen Freunde nicht.»
«Mit dir hatte das nichts zu tun. Ehrlich. Von der Sache bei deinem Chef habe ich nichts gewusst. Das war ein anderes Kommando.»
«Ein anderes Kommando? Wer seid ihr? Die verdammten US-Marines?»
«Immerhin habe ich dir geholfen. Dir und Mandy. Schon vergessen? Abgesehen davon: Wer hat denn gerade auf mich geschossen?»
Das sitzt. Carsten muss schlucken.
«Aber …»
«Komm, Carsten, hör auf. Du würdest es doch nicht verstehen. Du hast keinen Bauchspeicheldrüsenkrebs und null Chancen auf ein synthetisches Transplantat von den chinesischen Organbörsen. Du hast den Leuten nicht jahrelang über die Schwelle geholfen, weil sie es vor Schmerzen nicht mehr ausgehalten haben. Irgendwann war ich es leid.»
«Du hast Bauchspeicheldrüsenkrebs? Das hast du mir aber nicht gesagt», murmelt Carsten mit einem trotzigen Unterton in der Stimme.
«Warum sollte ich dir die Laune verderben? Und wie es aussieht, werde ich auch nicht daran sterben.» Ein wildes Lächeln jagt über seinen Mund. Sein Atem ist merklich schneller geworden, zwischen den einzelnen Worten muss er immer wieder gegen den Hustenreiz ankämpfen. Sein Gesicht hat eine unschöne, bläulich graue Farbe angenommen, die wahrscheinlich auf einen erheblichen Sauerstoffmangel im Blut zurückzuführen ist.
«Wie meinst du das?»
Das Gespräch stockt. Allen Beteiligten ist klar, dass Horst seine besten Zeiten hinter sich hat.
«Pneumothorax», sagt Mandy-Ursula zu einem unsichtbaren Auditorium hinter der Hallenwand, «das wird schon wieder.»
Horst taucht in einen erneuten Hustenanfall, aus seinem Brustkorb dringt ein leises Knirschen, das erst lauter wird und sich dann in ein trockenes Krächzen verwandelt. Horst lacht.
«Lass stecken, Mandy. Da hat unser gemeinsamer Freund ausnahmsweise mal vernünftige Arbeit abgeliefert. Das erste Mal, wenn ich mich recht erinnere.»
Carsten steigt nicht darauf ein.
«Warum, Horst?»
«Lass dir das von Ursula erklären.»
«Ich …»
«Und grüß mir Helmut.» Horst hat die Augen geschlossen, jede Spannung ist aus seinem Körper gewichen. Mandy-Ursula steht auf.
«Fass mit an, Carsten. Wir müssen ihn in Deckung bringen.»
Schweigend packen sie Horst an Armen und Beinen und ziehen ihn mehr als das sie ihn tragen in eine Lücke zwischen zwei abgeschabten Betonfundamenten. Als sich Carsten schließlich keuchend wieder aufrichtet, sieht er, dass die Mühe umsonst war. Sein alter Kumpel Horst ist tot.
cxv Ende der Fahnenstange
Tantalos meets Sisyphos. Jedes Mal, wenn Carsten einen Fuß vor den anderen gesetzt hat und denkt, dass es jetzt geschafft ist, wird er von Mandy-Ursula gezwungen, den zurückgebliebenen hinterher zu holen. So folgt Schritt auf Schritt, Einatmen auf Ausatmen, untermalt von einer unablässigen Folge spitzer Schmerzwellen, die seinen Körper durchglühen. Mandy-Ursula, selbst nicht gerade das pralle
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