Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
des Gesichts liegen im Schatten einer breiten Krempe. Das, was zu sehen ist, hat eine beunruhigende Ähnlichkeit mit dem Sprengmeisterlogo. Die Person beginnt mit brüchiger, geschlechtsloser Stimme zu sprechen:
«Glückseligkeit, ewige Jugend und Speisen in unendlicher Fülle demjenigen, der dem Siechtum des Königs ein Ende bereitet. Ein Held, der sich selbst treu bleibt, der die Burg erobert, der Unfruchtbarkeit des Reiches ein Ende setzt und uns das wunderkräftige und heilige Gefäß in unschuldiger Reinheit übergibt. Der König kann es nicht und nicht seine Vasallen, die ihm gleich Mangel leiden. Wir, die wir warten, leben von den Krümeln, die von der Herren Tische fallen, von den Blutstropfen der Hilflosen und Schuldigen. Gestern, heute und immerdar. Wir sind die Sprengmeister. Gebt uns, was wir wollen.»
Der Sprecher öffnet den Mund und eine dunkelrote, zähe Flüssigkeit ergießt sich auf seinen Umhang, wird zu einem reißenden Bach, füllt den Raum, schwappt über die Kamera und verwandelt den Sitzungsraum in eine rote Grotte. Dann verstummt das gurgelnde Geräusch und die Botschaft ist zu Ende. Die Anwesenden lassen den Clip eine Anstandsminute lang auf sich wirken.
Elias Grothues bringt auf den Punkt, was alle denken.
«Das war alles? Keine Botschaft? Kein Bekenntnis, zu was auch immer? Keine Drohungen oder Erklärungen?»
«Immerhin wissen wir jetzt, dass es eine Gruppe gibt, die sich – passenderweise, wie ich finde – die Sprengmeister nennt.»
Auch Eberhard Bröskamp hat sich wieder gefangen.
«Kryptischer Mist, aber ich fands nicht schlecht für einen Amateurclip. Ich hätte nur die Hauptrolle anders besetzt.»
xi Demokratischer Frühschoppen
Carsten sitzt mit seinem Kumpel Horst am Esstisch seiner kleinen Kemenate, trinkt eimerweise Bier und schwallert rum. Vorzugsweise über das, was einmal war, denn das Kurzzeitgedächtnis ist dabei, den Kampf gegen das Langzeitgedächtnis zu verlieren. Carsten hat seinen Pferdeschwanz geöffnet und trägt sein graues, fettiges Haar offen, sodass er ein wenig an die Großmutter der bösen Königin erinnert. Horst sieht aus wie der Uronkel von Schneewittchen.
Es ist mal wieder Zeit, für Nachschub zu sorgen. Vorsichtig drückt Carsten die Beine durch und zieht in einem großen Bogen an Helmut vorbei, der nach dem Genuss einer Familienpackung extrascharfer Kartoffelchips mit einer leichten gastroenterologischen Störung auf der Seite liegt und geräuschvoll atmet.
«Wenn ich den Kater so sehe … eine Tüte könnte ich auch schon noch vertragen.»
«Hör auf, Horst. Wenn du Gras und Schnaps zusammenrührst, wirst du immer unleidlich. Das letzte Mal hast du Dorothea niedergemacht, dann Elke und dann die Demokratie.»
«Die repräsentative Demokratie, bitteschön. Das, was du meinst, gibt es gar nicht.»
«Ach nee? Was meine ich denn?»
«Was du meinst, ist die partizipatorische Demokratie. Und die gibt es bestenfalls noch in unserer WG.»
«Red keinen Quatsch. Demokratie ist, wenn das Volk die Regierung wählt.»
«Das Volk , wie du es so schön formulierst, ist kein Einheitsbrei, dekoriert mit einer Art Überzug von freiem, gleichem Willen, sondern ein Haufen von Chaoten, in dem jeder seinen eigenen Kopf hat, wenn überhaupt. Die Aufgabe eines demokratischen Systems wäre somit, dafür zu sorgen, dass solche Einzelinteressen ausgeglichen werden und sich Entscheidungen nach dem Gesamtwillen richten, was immer das ist. – Und weil das Volk in der Regel nicht über jeden Quark selbst entscheiden kann oder will, wählt es Leute, die ihm die Entscheidung abnehmen und für ihre Mühe Kohle erhalten. Zu viel, meines Erachtens. Diese Typen sollen als Repräsentanten der Leute agieren, von denen sie gewählt wurden und deren Interessen und Ziele sie in den entsprechenden Gremien in ihrem Interesse durchsetzen sollen, und zwar für eine nur begrenzte Zeit. Das nennt man repräsentative Demokratie .»
«Das ist doch Haarspalterei!»
«Eben nicht, denn nach einer gewissen Zeit sollte über die Zusammensetzung der Volksvertretung durch Wahl neu entschieden werden. Die wollen aber bleiben, wo sie sind und haben sich deshalb jede Menge Tricks einfallen lassen, damit das auch funktioniert.»
«Und wie funktioniert das?»
«Ganz simpel. Repräsentiert wird das Volk nicht nur in den gesetzgebenden Gremien wie dem Parlament, sondern auch in den gesetzesausführenden Organen wie Regierung und Verwaltung. Letztere werden schon nicht mehr vom Volk direkt
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