Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
Plätzchen.
Doktor Eberhard Bröskamp, seines Zeichens Polizeipräsident und Vorsitzender des «Leitungsstabes für Strategie und Staatsschutz», fährt ohne die Stimme zu heben in seinem Vortrag fort. Allerdings wirft er dem Spätankömmling einen Blick zu, der wie ein Laserspeer durch den Raum zischt und in Erkans Brust ein Gefühl der Beklemmung erzeugt. Er setzt sich behutsam. Seine Stirn ist mit einem feinen Schweißfilm überzogen, gleichsam das Resultat von Treppenanstieg und der peinlichen Gewissheit, mal wieder der Letzte gewesen zu sein.
Erkan Ederim lässt seinen Blick dezent die Runde machen. Alle, aber auch wirklich alle sind gekommen, beziehungsweise alle bis auf Rudi Laukämper, der Gerüchten zufolge geladener Gast des Debütantinnenballs war und jetzt wahrscheinlich in einem Eimer in der Pathologie wohnt. Erkan zur Rechten sitzt Elias Grothues, Direktionsleiter «Staatsschutz und Terrorismusbekämpfung», gefolgt von Kevin Poggenpöhler, Direktionsleiter «Allgemeine Kriminalität», neben ihm sein Stellvertreter Egon Borkensend, dann Rolf Schnapper, Direktionsleiter «Verkehr und Veranstaltungen» mit seiner rechten Hand Paul Zoller und schließlich Doktor von Droste, Direktionsleiter «Steuern und Abgaben». Am Kopfende des Tisches natürlich seine Heiligkeit, der unglaubliche, Ehrfurcht gebietende, alles sehende, aber alles vergessende Herrscher über die Münsteraner Polizei- und Einsatzkräfte, der fantastische Doktor Eberhard Bröskamp, Polizeipräsident und allseits anerkanntes Riesenarschloch erste Güte.
Der Präsident hat die Präliminarien beendet und schiebt eine gepflegte Spannungspause ein. Er hat die ineinander gefalteten Hände vor sich auf die fleckige lichtgraue Beschichtung der MDF-Tischplatte gelegt und mustert seine Untergebenen mit unerbittlich scharfem Blick. Seine kindermurmelgroßen Augen liegen im Schatten zweier hervorstehender Augenwülste, die auch einem Cro-Magnon-Menschen Ehre gemacht hätten. Der Rest ist braun gebrannte Biomasse unter einem Kurzhaartoupet.
«Soweit die allgemeine Lage. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was heute Morgen in meinem Büro los war. Der Stadtdirektor persönlich war hier und hat mich zur Schnecke gemacht. Das Fon hat ununterbrochen getutet. Quasi jeder, der in unserem schönen Münster etwas zu melden hat, hat mich zusammengeschissen. Und ich konnte Ihnen nichts sagen. Gar nichts. Und warum konnte ich Ihnen nichts sagen? Weil meine Mitarbeiter es nicht für nötig befunden haben, mich mit den entsprechenden Informationen zu versorgen. Ich stand da wie ein Idiot. Wissen Sie, wie Freiherr von der Hohen Ward mich genannt hat? Wollen Sie es wissen? Wollen Sie es wirklich wissen?»
Die Devise in solch sattsam bekannten Momenten lautet «Notanker werfen und abwettern», sodass eine diesbezügliche Nachfrage ausbleibt.
«Nun, was ist, meine Herren? Keine substanziellen Wortmeldungen? Möchte keiner von Ihnen etwas Erhellendes zu den Vorfällen des vorvorgestrigen Abends beisteuern – oder muss ich erst die Daumenschraube holen?»
Die Daumenschraube ist eine euphemistische Umschreibung für Doktor Bröskamps Sekretärin Gundula Wencke, eine Fregatte um die fünfzig mit hundert Jahren Verwaltungserfahrung, die in kritischen Momenten als Protokollantin eingesetzt wird und mit ihren enervierenden Nachfragen schon manchen Karriereabstieg im Präsidium verkürzt hat. Die Drohung wirkt.
«Lieber Herr Präsident, äh, liebe Kollegen! Lassen Sie mich nur kurz vorwegschicken, wie schockiert meine Mitarbeiter und ich von den jüngsten Ereignissen sind. Damit hat die Flut des Terrors, die unsere liebenswerte Region überzieht, eine neue Höchstmarke erreicht», beginnt Kevin Poggenpöhler von «Allgemeine Kriminalität» zu kalauern, ein Mann, der unlängst den Sechzigsten gefeiert und eine altersbedingte Affinität zu ruhegehaltsfähigen Zulagen hat. Sein Assistent Egon Borkensend, dessen magerer Hühnerhals unnatürlich weit aus dem gestärkten Hemdkragen ragt, nickt im Rhythmus der Worte mit dem Kopf wie ein antiker Hutablagenköter aus der Hochphase der deutschen Wachstumsjahre. «Leider muss ich an dieser Stelle sagen, dass die allgemeine Erkenntnislage den Fall betreffend äußerst unbefriedigend ist. Besagte Terroristin hat den Erkenntnissen unserer Abteilung zufolge keine wie auch immer gearteten Kontakte zur örtlichen Szene der großen oder kleinen Gesetzesbrecher.»
«Was ist mit diesen jugendlichen Unruhestiftern, die sich außerhalb
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