Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
unserer Stadtmauern in den alten Wohnvierteln tummeln, diesen Rüpeln, Skatern, E-Bikern, Crackrauchern oder wie auch immer?»
«Äh, Crack gibt es schon seit zwanzig Jahren nicht mehr. Anderswo, meine ich, und hier sowieso noch nie so richtig. Aber Sie haben schon recht. Das sind unangenehme Zeitgenossen. Allerdings, mit älteren Leuten reden die gar nicht. Die würden den Alten höchstens welche vor die Fresse, äh, Entschuldigung, äh, ich meine, körperlich übergriffig. Also ein … kurz und gut: Nein.»
«Was nein?»
«Ich wollte damit sagen, dass aus unserer Abteilung keine Erkenntnisse vorliegen. Kriminaltechnisch. Erkenntnistheoretisch.»
Ein leichter Hauch vorsichtiger Belustigung zieht durch den Raum. Die Abteilung «Allgemeine Kriminalität» ist, abgesehen von ihrem Chef, recht flott in Auftritt und Wirkung und die Jungs in der kämpfenden Truppe sind für ihre Durchsetzungsfähigkeit bekannt und berüchtigt. Mit sachdienlichen Hinweisen aus dieser Ecke hat allerdings niemand gerechnet, denn noch nie ist es gelungen, die Aktivitäten der gesetzesuntreuen Subkultur von Outer-Münster mit schnöden Gewaltverbrechen in Verbindung zu bringen. Bevor der Chef seinen AK-Leiter zusammenfalten kann, ergreift Elias Grothues, der Pitbull der Münsterländer Terrorismusbekämpfung, das Wort. Trotz seiner leptosomen Erscheinung trägt er die schwarze Kampfmontur seiner Einsatzelitetruppe mit Selbstbewusstsein und Würde. Unbeschadet seiner noch jungen Jahre gilt er als Mann, der weiß, was er tut. Wenn er auch nicht immer sagt, was er weiß.
«Sehr geehrter Herr Präsident, Kollegen.» Er deutet eine leichte Verbeugung an. «Lassen Sie mich der Einfachheit halber noch einmal die Kernpunkte des vorvorgestrigen Abends zusammenfassen.
Der Anlass : Es kann als gegeben angenommen werden, dass die alljährliche Veranstaltung des Debütantinnenballs unserer geschätzten Stadtoberen Anlass und Ziel der Attacke war.
Der Tatort : Der oberste linksseitige Absatz der Freitreppe zum Rathaus.
Die Tatzeit : 17.33 Uhr. Das Einzige, was wir genau wissen.
Die Tatperson : Eine Frau, geschätztes Alter zwischen siebzig und achtzig, graue Haare, Augenfarbe dunkel oder schwarz, dunkelgrauer, fast schwarzer Mantel, Gehhilfe wegen leichter Gehbehinderung, Nationalität unbekannt. Die Daten sind auf die Aufzeichnungen von acht Überwachungskameras sowie die Aussagen mehrerer Zeugen zurückzuführen.
Der Tathergang : Wir konnten den Tathergang anhand der – wenn auch lückenhaften – Aufzeichnungen der Überwachungskameras, die ihre Daten an die Überwachungszentrale im Fürstenberghaus überspielt haben, rekonstruieren. Um 17.29 Uhr stieg die Täterin die Freitreppe zum Rathaus hoch. Im Gedränge wurde sie von den Sicherheitskräften erst bemerkt, als sie bereits das obere Podest erreicht hatte. Dort wurde sie gestoppt und fixiert, sodass sie ihr wahrscheinliches Vorhaben, den Ballsaal aufzusuchen, nicht ausführen konnte. Bevor sie abgeführt werden konnte, zündete sie einen am Körper befindlichen Sprengsatz von C4plus-Sprengstoff. Die Körperbombe brachte mehrere Gebäude zum Einsturz und forderte etwa dreihundertdreißig Todesopfer. Die genaue Zahl wird sich aufgrund der erheblichen Sprengwirkung der Bombe wahrscheinlich nie exakt bestimmen lassen. Unter den Toten waren erfreulicherweise vorwiegend Passanten und Schaulustige. Der größte Teil der geladenen Gäste blieb unversehrt und konnte schon kurz nach der Tat durch unsere Einsatzkräfte in Sicherheit gebracht werden.
Das Täterumfeld: Unbekannt. Weder wissen wir, wie das Täterumfeld beschaffen ist, noch wissen wir, ob es überhaupt ein Täterumfeld gibt. Die Verwendung von hochwirksamen C4plus-Sprengstoff gibt ebenfalls keinen Aufschluss, denn theoretisch kann man das Zeug in jedem besseren Hobbylabor zusammenköcheln.
Weitere Erkenntnisse : Weder wissen wir, wer hinter der Täterin steckt, noch welche Intention diese mit ihrem feigen Anschlag verfolgt hat. Das Einzige, was wir wissen, ist, dass die Selbstmordattentäterin ihren Lebenszenit deutlich überschritten hatte. Ansonsten tappen wir im Dunkeln.»
Doktor von Droste hebt vorsichtig seine rechte Hand, um einen Wortbeitrag anzukündigen. Der Steag-Chef gilt als besonnener Mann und wandelnder Taschencomputer, sodass sich die Augen aller Anwesenden auf das schmale, zerfurchte Gesicht richten.
«Herr Präsident, meine Herren, die für mich zentrale Frage in dieser Angelegenheit ist die Motivfrage. Niemand begeht
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