Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
muss aber irgendwo einer sein. Das Zeug da unten ist doch nicht einfach so aus dem Boden gewachsen. – Ich frage mich sowieso, wer diesen ganzen Kram installiert hat. Das ist ja fast schon eine Stadt unter der Stadt.»
«Eher ein Dorf, aber ein großes.»
«Hast du davon gewusst? Du bist doch schließlich Bulle.»
«Nicht so richtig. Ich meine, Bulle bin ich schon, aber gewusst habe ich nichts. Höchstens geahnt.»
«Du hast Ahnungen? Das kann ich mir vorstellen!»
«Ich glaube, du hast völlig falsche Vorstellungen von dem, was in Münster gelaufen ist. In den letzten beiden Jahrzehnten vornehmlich. Du hast in deiner Laubenkolonie gehockt und selbstgebrautes Bier gesoffen, während hier ordentlich Umsatz gemacht worden ist. Bis vor Kurzem zumindest. Da ist die ganze Bagage bis auf ein paar Dutzend Forscher verschwunden. – Gib mal her!»
Ederim schnappt sich den Rollstuhl, bringt ihn wieder auf Reisegeschwindigkeit und biegt um einen mächtigen Pfeiler. Carsten hoppelt hinterher.
«Wer ist verschwunden? Und wohin?»
«Irgendein Multi, Großinvestor, internationale Forschungsgesellschaft, hat sich mir nicht vorgestellt. Hat die ganze Schore hier gekauft. Irgendein obskurer Deal mit unseren Königskindern, Arbeitsplatzsicherung, Vorzugsaktien, so was. Uns wollte keiner hier haben. Eigener Werksschutz. Die haben alles abgesperrt und das wars. Und irgendwann sind sie wieder abgehauen und haben den Scheiß hier stehen lassen. So in etwa jedenfalls.»
«Warst du schon mal hier unten?»
«Nope.»
«Ehrlich?»
«Ich schwör es dir. Großes Einsatzleiterehrenwort.»
Carsten schnaubt vernehmlich.
«Jetzt hör mal auf zu stänkern. Ich weiß nicht, was in der restlichen Welt so los ist. Wer womit wie viel Bares macht. Du aber schon mal gar nicht.»
Vor ihnen liegt ein offener Treppenschacht. Ziehharmonikaförmig, von kleinen Absätzen unterbrochen und nur notdürftig gesichert geht es in die Tiefe. Carsten muss schlucken. Dreißig Meter Höhenunterschied können sehr viel sein, wenn man Rollstuhlfahrerin ist.
«Das ist doch wohl nicht dein Ernst, oder?»
«Du hast es doch so eilig gehabt. Jetzt nörgel nicht rum.»
«Wie sollen wir da runterkommen? Mit Mandy, meine ich.»
«Ganz einfach. Ich nehme deine Tussi, du nimmst den Rollstuhl und dann gehts nach dem Motto ‹Besser gut gelaufen, als schlecht gefahren›.»
Erkan beugt sich vor und wuchtet sich Mandy auf die Schulter. Besonders schwer scheint es ihm nicht zu fallen. Dann macht er sich beherzt an den Abstieg. Carsten bleibt nichts anderes übrig, als den Rollstuhl zusammenzufalten und hinterher zu galoppieren.
«Und wie sollen wir hier wieder hoch kommen? Kannst du mir das auch verraten?»
Erkan Ederim würdigt ihn keiner Antwort und Carsten weiß, warum. Ehrlich betrachtet liegt die Wahrscheinlichkeit, dass er mit Mandy wieder zurückkommt, im einstelligen Promillebereich.
lxxi Unter Tage
Igitt, ist das eklig. Vorsichtig kämpft sich Kardinal Rolf Schultheiss, kirchliches Oberhaupt und Großinquisitor von Münster durch den zähen Schleim, der den schmalen Treidelweg am Rand der doppelt mannshohen Röhre bedeckt, die laut Plan von Münster-Zentral zu den Laboren in den Kliniken führen soll. Es riecht wie in einer öffentlichen Katzentoilette. Vielleicht sogar schlimmer. Zwischen den Zähnen hält er eine kleine LED-Lampe, deren Lichtkegel auf einen zusammengefalteten Plan in seiner linken Hand gerichtet ist. Die rechte hat seinen Umhang gerafft, sodass der Saum nicht in der Soße zu seinen Füßen schleifen kann. Romantischer Unsinn. Sie hätten sich besser Gummihosen, wie sie Forellenangler tragen, anziehen sollen, wenigstens aber kniehohe Gummistiefel. Doch nein, stilverliebt, wie er nun einmal ist, hat er auf der Berufskleidung des Inquisitors bestanden und jetzt haben sie den Salat. Seine vier Gehilfen sind allerdings noch schlechter dran, denn sie müssen die für ihren kleinen nächtlichen Einsatz nötigen Gerätschaften tragen. Immerhin sind es gottesfürchtige Gesellen, die bei der Arbeit nicht fluchen oder sich auf andere Art und Weise lästerlich gebärden. Eine Selbstbeherrschung, deren Grenze Rolf Schultheiss gerade zu überschreiten im Begriff ist.
«Allmächtiger Vater im Himmel steh uns bei!» Der Kardinal hat eine weitere unterirdische Kreuzung erreicht. Auf dem Plan in seiner Hand sah alles so einfach aus, jetzt hat er zur Strafe für seine Hybris schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf die Unerfreulichkeiten des
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