Die Springflut: Roman (German Edition)
rasch, was Gardman Wendt über den Ufermord erzählt hatte und dass Wendt kurz darauf nach Schweden gereist war.
»Warum hat er das getan?«, fragte sie. »Warum hat Gardmans Geschichte von dem Mord bei Wendt diese Reaktion ausgelöst? Er ist doch schon drei Jahre vor dem Mord verschwunden. Hat es eine Verbindung zwischen ihm und der Frau am Ufer gegeben? Immerhin war sie wahrscheinlich lateinamerikanischer Herkunft.«
»Olivia.«
»Haben die beiden sich in Costa Rica kennengelernt?! Hat Wendt sie nach Nordkoster geschickt, um etwas zu holen, was er in seinem Sommerhaus versteckt hatte?!«
»Olivia!«
»Ist sie im Wasser gefoltert worden? Von Leuten, die den Tipp bekommen hatten, dass sie auftauchen würde, und ihr gefolgt sind? Hatte sie …«
»Olivia!«
»Ja?«
Stilton hatte Olivias Verschwörungstheorien endgültig satt.
»Sie müssen noch einmal mit Mette sprechen.«
»Okay. Sicher, natürlich!«
»Und halten Sie sich an die Fakten. An Gardman und Wendt. Den Rest schafft sie schon alleine.«
»Okay. Kommen Sie mit?«
Das tat er. Außerdem hatte er seinen Verband entfernt und durch ein großes Pflaster auf dem Hinterkopf ersetzt, das etwas diskreter war. Sie wollten in ein Restaurant. Olivia hatte Mette Olsäter erreicht, als die gerade auf dem Weg zu ihrem Auto war. Mårten und Jolene waren bei einer Ballettvorführung in der Stadt und würden erst spät nach Hause kommen. Sie selbst hatte vor, in einem kleinen Restaurant in Saltsjö-Duvnäs Halt zu machen und einen Happen zu essen.
»Stazione«, sagte Mette.
»Wo liegt das?«
»In einem roten Bahnhofsgebäude, die Station heißt Saltsjö-Duvnäs auf der Bahnlinie nach Saltsjöbaden.«
Nun saßen sie dort in der Abendsonne auf einem hölzernen Bahnsteig an der Rückseite des hübschen Bahnhofgebäudes, an einem kleinen runden Tisch, zwei Meter von den Zügen entfernt, die eintrafen und wieder abfuhren, wodurch eine seltsam kontinentale Atmosphäre entstand. Das Restaurant war sehr beliebt und vor allem bei Familien für sein gutes Essen bekannt, so dass sie nur noch einen Tisch im Freien auf der Bahnsteigseite bekommen hatten, was ihnen allerdings nichts ausmachte, da er für ihre Zwecke perfekt war. Niemand saß ihnen so nahe, dass er ihr Gespräch hätte belauschen können, nicht einmal, als Mette gelegentlich ihre markante Stimme erhob.
»In Costa Rica?!«
Endlich bekam sie eine Antwort auf die Frage, mit der sie sich siebenundzwanzig Jahre zuvor so lange beschäftigt hatte. Endlich wusste sie, wo Nils Wendt sich all die Jahre versteckt hatte.
»In Mal Pais, auf der Nicoya-Halbinsel«, ergänzte Olivia.
»Unglaublich!«
Olivia war ziemlich stolz darauf, bei der abgebrühten Mordermittlerin eine solche Reaktion auszulösen, und sah sehr zufrieden aus, als Mette sofort Lisa Hedqvist anrief und sie bat, sich mit Ove Gardman in Verbindung zu setzen und ihn zu befragen. Die Information über Wendts Aufenthaltsort war für Mette weitaus interessanter als seine mögliche Verbindung zum Ufermord. Der Fall war zwar noch nicht verjährt, aber sie musste sich um eine wesentlich aktuellere Mordermittlung kümmern. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass der Mord auf der Insel immer noch Toms Fall war.
Sie beendete ihr Gespräch und sah Stilton an.
»Das müssten wir uns eigentlich genauer ansehen.«
»Du meinst, Mal Pais?«
»Ja. Wendts Haus. Möglicherweise gibt es dort Beweismaterial, das uns bei den Ermittlungen weiterhelfen könnte, zum Beispiel ein Motiv für den Mord oder eine Erklärung dafür, warum er damals verschwunden ist. Aber das könnte knifflig werden.«
»Warum?«, erkundigte sch Olivia.
»Weil ich wenig Vertrauen zur dortigen Polizei habe, die bestimmt nicht sehr effektiv arbeitet, außerdem gibt es sicher ziemlich viel Bürokratie.«
»Und?«
Olivia sah, dass Mette und Stilton einen Blick wechselten, der schnell Einverständnis signalisierte.
Dann baten sie um die Rechnung.
Es kam nicht oft vor, dass Mette Olsäter das Casino Cosmopol besuchte. Die umfangreiche Frau zog einige Blicke auf sich, als sie einen der Spielsäle betrat. Nicht zuletzt Abbas’ Blicke. Sie war ihm schon in der Tür ins Auge gefallen. Ein kurzer Blickwechsel reichte aus, damit er begriff, dass es an der Zeit wäre, einen anderen Croupier zu bitten, seinen Tisch zu übernehmen.
Stilton und Olivia standen gegen Mettes Auto gelehnt in der Nähe des Kasinos. Auf der Fahrt in die Stadt hatte sie eine kurze Beschreibung des Menschen bekommen, den sie
Weitere Kostenlose Bücher