Die Springflut: Roman (German Edition)
Jackie Berglund zu sprechen, aber Stilton hatte keine Lust.
»Ich muss mal eine Runde schlafen«, sagte er.
»Aha. Okay … aber schalten Sie das Handy nicht aus.«
»Warum nicht?«
»Für den Fall, dass etwas passieren sollte.«
Hat Mette jetzt etwa auch mit ihr gesprochen?, fragte Stilton sich.
»Okay. Ich mache es nicht aus. Wir telefonieren.«
Stilton ließ sich auf die Pritsche zurücksinken und schaltete sein Handy aus. Er wollte nicht mehr gestört werden. Die Vernehmung Jackie Berglunds am Vortag hatte ihm eine gewisse Anspannung abverlangt, aber anderen Dingen musste er größeren Tribut zollen. Sich in dem Gebäude aufzuhalten, in dem er so viele erfolgreiche Jahre als Mordermittler tätig gewesen war, hatte ihn sehr aufgewühlt. Sich wie ein räudiger Hund hinausschleichen zu müssen, um nicht den Blicken alter Kollegen zu begegnen, hatte wehgetan.
Er spürte, dass die Wunde noch lange nicht verheilt war, zu der er gekommen war, als man ihn damals abgeschoben und als erledigt abgestempelt hatte. Okay, er hatte an einer Psychose gelitten, an panischer Angst, und sich in Behandlung begeben müssen. Aber daran hatte es in seinen Augen gar nicht gelegen, er war überzeugt, dass man ihn bewusst kaltgestellt hatte.
Natürlich hatte es damals auch Kollegen gegeben, die ihn unterstützt hatten, aber der böswillige Klatsch hinter seinem Rücken war von Tag zu Tag lauter geworden. Er wusste genau, wer ihn geschürt hatte, und an einem Arbeitsplatz, an dem alle so eng zusammenarbeiteten, war die Atmosphäre schnell vergiftet gewesen. Ein abfälliges Wort hier, eine zweideutige Bemerkung dort. Abgewandte Blicke, Leute, die lieber zu einem anderen Tisch gingen, wenn man in der Kantine alleine saß. Am Ende konnte man nur noch den Dienst quittieren.
Zumindest, wenn man noch ein bisschen Stolz im Leib hatte, und das hatte Stilton.
Er hatte seine Sachen in zwei Kartons geräumt, kurz mit seinem Chef gesprochen und war gegangen.
Dann war er abgestürzt, und nun döste er auf seiner Pritsche erschöpft ein.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Stilton zuckte zusammen. Erneutes Klopfen. Stilton stemmte sich hoch, sollte er öffnen? Ein weiteres Klopfen. Stilton fluchte, stand auf, machte die zwei Schritte zur Tür und öffnete sie.
»Hallo, ich heiße Sven Bomark und komme von der Stadtverwaltung Solna.«
Der Mann war um die vierzig und trug einen braunen Mantel und eine Schiebermütze.
»Darf ich eintreten?«
»Warum?«
»Um mit Ihnen über den Wohnwagen zu sprechen.«
Stilton ging zu seiner Pritsche zurück und setzte sich. Bomark zog die Tür hinter sich zu.
»Darf ich mich setzen?«
Stilton nickte, und Bomark nahm ihm gegenüber Platz.
»Wohnen Sie jetzt hier?«
»Wonach sieht es denn aus?«
Bomark schmunzelte.
»Sie wissen vielleicht, dass wir den Wagen fortschaffen müssen.«
»Und wann?«
»Morgen.«
Bomark sprach ruhig und freundlich. Stilton betrachtete die weißen, wenig strapazierten Innenflächen seiner Hände.
»Wo bringen Sie ihn hin?«
»Auf eine Müllkippe.«
»Wird er verbrannt?«
»Wahrscheinlich. Können Sie woanders unterkommen?«
»Nein.«
»Sie wissen, dass wir eine Herberge haben, in der …«
»War sonst noch was?«
»Nein.
Bomark blieb sitzen. Die Männer sahen sich an.
»Es tut mir leid«, sagte Bomark und stand auf. »Kann ich Ihnen eine von denen abkaufen?«
Er zeigte auf einen kleinen Stapel Situation Stockholm , der auf dem Tisch lag. Stilton schob ihm eine Zeitung zu.
»Das macht vierzig Kronen.«
Bomark zog sein Portemonnaie heraus und gab ihm einen Fünfziger.
»Ich kann nicht wechseln«, erklärte Stilton.
»Das macht nichts.«
Bomark nahm seine Zeitung, öffnete die Tür und ging.
Stilton fiel wieder auf die Pritsche zurück. Er konnte einfach nicht mehr denken. Morgen sollte der Wohnwagen abgeschleppt werden. Er sollte weg. Alles sollte weg. Er spürte, dass er immer tiefer und tiefer sank.
Die beiden dunklen Gestalten warteten, bis der Mann mit der grauen Schiebermütze außer Sichtweite war. Dann schlichen sie sich mit ihrem dicken Brett zum Wagen. Gemeinsam pressten sie es leise unter die Klinke. Einer von ihnen legte einen großen Stein als Bremsklotz vor das untere Ende des Bretts. Schnell schraubten sie den Deckel von dem kleinen Kanister.
Stilton wälzte sich auf der Pritsche hin und her, als ihm ein schwacher, beißender Geruch in die Nase stieg. Er war benommen und viel zu müde, um zu reagieren, aber der stechende Geruch drang immer
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