Die Springflut: Roman (German Edition)
eines schläfrigen Mannes massierte.
»Herr Grandén, guten Tag! Sie haben doch keinen Termin, oder?«, sagte der Friseur.
»Nein, ich wollte nur fragen, ob ich mir mal kurz ein Rasiermesser ausleihen könnte, ich habe da ein paar Barthaare am Hals, die ich gerne loswerden würde.«
»Sicher … nehmen Sie das da.«
Der Friseur zeigte auf ein kleines Glasregal, in dem ein gutes altes Rasiermesser mit einem braunen Bakelitgriff lag. Grandén nahm das Messer, ging in die Toilette am hinteren Ende des Salons und schloss hinter sich ab.
Einer für alle.
*
Mette betrat als Letzte den Raum und ließ den Blick über ihre Gruppe schweifen. Alle waren anwesend und hochkonzentriert. Der Selbstmord Magnusons in der letzten Nacht hatte sie kalt erwischt.
Deshalb übernahm Mette sofort das Kommando.
»Ich schlage vor, dass wir noch einmal ganz von vorne anfangen. Thesen und Hypothesen.«
Sie stellte sich an die Tafel, an der Adelitas gefälschter Brief an Wendt neben seinem eigenen »Erklärungsbrief« aus Mal Pais hing. Unmittelbar darunter hing das Foto von Wendt und Adelita, das Abbas aus der Bar in Santa Teresa mitgebracht hatte.
»Fangen wir mit der Aufnahme des Gesprächs aus dem Jahre 1984 an. Bertil Magnuson gibt darin zu, dass der Journalist Jan Nyström in seinem Auftrag ermordet worden ist«, sagte Mette. »Da Magnuson tot ist, können wir davon absehen, der Fall wird auf anderen Ebenen Konsequenzen haben. Dagegen wissen wir, dass Nils Wendt Kinshasa kurz nach dem Mord verließ und spurlos verschwand. Seine damalige Lebensgefährtin meldete ihn eine Woche später als vermisst.«
»Ging er direkt nach Costa Rica?«
»Nein, erst ist er nach Playa del Carmen in Mexiko gereist, wo er Adelita Rivera kennenlernte. Wir wissen nicht genau, wann er in Mal Pais aufgetaucht ist, aber wir wissen, dass er sich 1987 dort aufgehalten hat.«
»Das Jahr, in dem Adelita Rivera von Costa Rica aus nach Nordkoster gereist ist«, sagte Lisa Hedqvist.
»Richtig.«
»Um Geld zu holen, das Wendt dort in seinem Sommerhaus versteckt hatte.«
»Warum ist er nicht selbst gefahren?«
»Das wissen wir nicht«, antwortete Mette. »In seinem Brief schreibt er, er habe nicht gekonnt.«
»Vielleicht hing es mit Magnuson zusammen, vielleicht hatte er Angst vor ihm.«
»Kann sein.«
»Woher kam dieses Geld?«, fragte Bosse Thyrén.
»Das wissen wir auch nicht.«
»Vielleicht war es Geld, das er vor seinem Verschwinden aus ihrer gemeinsamen Firma abgezweigt hat.«
»Gut möglich«, kommentierte Mette.
»Und all die Jahre, bis er wieder aufgetaucht ist, hat er dann also in Mal Pais verbracht?«
»Wahrscheinlich. Laut Ove Gardman hat er dort als Fremdenführer in einem Naturschutzgebiet gearbeitet.«
»Und gedacht, diese Adelita Rivera hätte ihm das Geld abgeluchst?«
»Könnte sein. Immerhin hat er einen gefälschten Brief bekommen, in dem sie sich ziemlich abrupt von ihm verabschiedet hat und den die Leute aufgesetzt haben müssen, die Rivera 1987 auf Nordkoster ermordet haben. Der Brief sollte Wendt offenbar davon abhalten, Nachforschungen anzustellen, um den Grund dafür zu erfahren, dass sie nicht zu ihm zurückkam.«
»Ganz schön abgebrüht, unsere Täter«, meinte Bosse Thyrén.
»Ja. Aber dann taucht vor drei Wochen Gardman in Mal Pais auf und erzählt von dem Mord, dessen Zeuge er als kleiner Junge geworden ist, und mit Hilfe des Internets erkennt Wendt daraufhin, dass damals Adelita Rivera ermordet wurde, und reist nach Schweden.«
»Und damit wären wir in der Gegenwart.«
»Genau. Wir kennen Wendts Weg ziemlich gut. Wir wissen, dass er die Aufnahme des Gesprächs in Kinshasa 1984 dabeihatte, und wir können davon ausgehen, dass er Bertil Magnuson in seinen kurzen Anrufen Teile davon vorgespielt hat.«
»Bleibt die Frage, was er eigentlich von ihm wollte?«
»Könnte es mit dem Mord an Rivera zusammenhängen?«
»Du meinst, er hat gedacht, dass Magnuson etwas damit zu tun hatte?«
»Ja.«
»Das könnten wir vielleicht hiermit feststellen.«
Lisa Hedqvist zeigte auf den alten Umschlag an der Tafel.
»Dieser Brief ist doch mit Adelita unterzeichnet und fünf Tage nach ihrer Ermordung abgesendet worden, stimmt’s?«
»Ja.«
»Dann müssten wir an der Briefmarke eigentlich eine DNA -Probe sichern und mit Magnusons DNA vergleichen können. Speichel lässt sich doch auch noch nach dreiundzwanzig Jahren sichern, oder?«
»Ja.«
Lisa Hedqvist ging zur Tafel, nahm den Umschlag herunter und verließ den
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