Die Springflut: Roman (German Edition)
sprechen?«, fragte er.
Die hatte sie, was für Mette und Stilton ein Glück war, da sie nichts Konkretes in der Hand hatten, was Eva Carlsén mit dem, was ihrem früheren Lebensgefährten zugestoßen war, in Verbindung brachte. Aber die Frau ihnen gegenüber hatte keinen Grund mehr zu lügen. Sie hatte bereits einen brutalen Mord gestanden und wollte offenbar auch den Rest loswerden. Außerdem wusste sie natürlich nicht, wie viel die beiden eigentlich wussten. Sie wollte nicht noch einmal von Mette in die Zange genommen werden.
Das würde sie nicht ertragen.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen«, sagte sie. »Er klingelte eines Abends an der Tür, und ich bekam einen ziemlichen Schock. Nicht weil er lebte, das wusste ich ja, aber weil er plötzlich einfach bei mir auftauchte.«
»An welchem Abend war das?«
»Das weiß ich nicht mehr. Einen Tag, bevor er gefunden wurde.«
»Was wollte er?«
»Ich weiß es nicht genau, er … das Ganze war so eigenartig …«
Sie verstummte und versank in Gedanken. Langsam rief sie sich die seltsame Begegnung mit ihrem früheren Lebensgefährten in Erinnerung, der so unvermittelt an ihrer Tür geklingelt hatte.
Eva Carlsén öffnete die Tür. Im schwachen Licht der Eingangslampe stand Nils Wendt vor ihr, der eine braune Jacke trug. Sie starrte ihn an und konnte kaum fassen, was sie sah.
»Hallo, Eva.«
»Hallo.«
»Du erkennst mich?«
»Ja.«
Sie musterten sich gegenseitig.
»Darf ich hereinkommen?«
»Nein.«
Es vergingen einige Sekunden. Ziemlich viele. Nils? Nach all den Jahren? Was zum Teufel machte er hier? Sie versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen.
»Könntest du dann vielleicht herauskommen?«, fragte Nils lächelnd.
Als wären sie zwei Jugendliche, die nicht wollten, dass ihre Eltern sie sahen? Hatte er sie nicht mehr alle? Was zum Teufel wollte er von ihr? Eva drehte sich um, zog eine Jacke an, trat aus dem Haus und schloss die Tür.
»Was willst du?«, fragte sie.
»Bist du noch verheiratet?«
»Geschieden. Wieso? Woher weißt du, wo ich wohne?«
»Ich habe vor Jahren im Internet gelesen, dass du geheiratet hast, dein Mann war Anders Carlsén, ein ziemlich erfolgreicher Stabhochspringer. Du hast seinen Namen behalten.«
»Ja. Du hast mich im Auge behalten?«
»Nein, das war eher Zufall.«
Nils drehte sich ein wenig um, wollte, dass sie ihm folgte, und ging zum Gartentor. Eva blieb stehen.
»Nils.«
Nils hielt inne.
»Wo bist du all die Jahre gewesen?«
Das wusste sie nur zu gut, aber er hatte natürlich keine Ahnung, dass sie es wusste.
»Im Ausland«, antwortete er.
»Und warum tauchst du jetzt wieder auf?«
Er sah sie an. Sie spürte, dass sie ein wenig näher gehen, etwas intimer sein sollte. Sie ging zu ihm.
»Ich muss ein bisschen in meiner Vergangenheit aufräumen«, antwortete er leise.
»So, so, und was gibt es da aufzuräumen?«
»Einen alten Mord.«
Eva schaute sich instinktiv um und spürte, wie sich ihre Nackenmuskeln anspannten. Ein alter Mord? Der Mord auf Nordkoster? Aber er konnte doch unmöglich wissen, dass sie etwas damit zu tun hatte? Was meinte er?
»Das klingt unschön«, sagte sie.
»Das ist es auch, aber ich bin hier bald fertig, und dann reise ich wieder heim.«
»Nach Mal Pais?«
Das war ihr erster Fehler gewesen. Es war ihr einfach so herausgerutscht. Im nächsten Moment wurde ihr bewusst, was sie gesagt hatte.
»Woher weißt du, dass ich da wohne?«, fragte Nils.
»Tust du das nicht?«
»Doch. Sollen wir eine kleine Spritztour machen?«
Nils nickte zu einem grauen Auto hinüber, das vor dem Gartentor stand. Eva dachte nach. Sie hatte nach wie vor keine Ahnung, was er von ihr wollte. Ein bisschen quatschen? Unsinn. Ein alter Mord? Was konnte er darüber wissen?
»Sicher«, sagte sie.
Sie setzten sich in den Wagen und fuhren los. Ein paar Minuten später fragte Eva:
»Was ist das für ein alter Mord?«
Nils überlegte kurz und erzählte ihr dann von dem Mord an dem Journalisten Jan Nyström, den Bertil Magnuson in Auftrag gegeben hatte. Eva sah ihn an.
»Bist du deshalb hergekommen?«
»Ja.«
»Um Bertil fertigzumachen?«
»Ja.«
Sie entspannte sich. Es ging also gar nicht um Nordkoster.
»Ist das nicht ein bisschen gefährlich?«, meinte sie.
»Bertil anzugreifen?«
»Ja. Immerhin hat er offenbar einen Journalisten ermorden lassen.«
»Er wagt es nicht, mich zu ermorden.«
»Warum nicht?«
Nils grinste, sagte aber nichts. Sie fuhren über die Drottningholm-Brücke und
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