Die Springflut: Roman (German Edition)
Handy aus. Zunächst hatte er überlegt, seine Handynummer zu wechseln, aber dann würde er Gefahr laufen, dass Wendt auf die Idee käme, ihn zu Hause anzurufen, wo unter Umständen seine Frau an den Apparat gehen würde. Das wäre nicht so gut.
Es wäre eine Katastrophe.
Deshalb begnügte er sich damit, das Telefon auszuschalten, den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, dass es bei diesem einen Anruf bleiben würde.
Ehe er nach Hause fuhr, schaute er noch in der Firmenzentrale am Sveavägen vorbei. Seine Angestellten hatten Blumen und Champagner gekauft. Letztlich war ja das gesamte Unternehmen ausgezeichnet worden. Niemand hatte die Demonstrationen erwähnt. Das wäre ja auch noch schöner gewesen. Seine Mitarbeiter waren ihm treu ergeben, und wenn sie es nicht waren, ließen sie sich schnell ersetzen.
In seinem Büro hatte er telefonisch eine richtig miese Fernsehreportage über MWM kommentiert und anschließend seine Sekretärin gebeten, in einer Pressemitteilung zu unterstreichen, wie sehr MWM die heutige Auszeichnung zu schätzen wisse und welch ein Ansporn sie für das schwedische Unternehmen sei, sein Auslandsengagement, gerade auch in Afrika, weiterzuführen.
Man musste den Stier bei den Hörnern packen.
Nun näherte er sich seiner Villa in Stocksund. Es war schon spät, und er hoffte, dass seine Frau nicht auf die Idee gekommen war, Krethi und Plethi einzuladen, um mit ihnen zu feiern. Das würde ihn jetzt überfordern.
Das hatte sie nicht getan.
Stattdessen hatte sie auf der Veranda den Tisch für ein kleines, schlichtes Abendessen zu zweit gedeckt. Sie kannte ihren Mann. Die beiden speisten relativ schweigsam, bis Linn Magnuson ihr Besteck ablegte.
»Wie fühlst du dich?«
Ihre Augen hatte sie bei der Frage auf das Wasser gerichtet.
»Gut. Du meinst wegen meiner …«
»Nein, ich meine ganz allgemein.«
»Warum fragst du?«
»Weil du nicht hier bist.«
Sie kannte ihren Mann sehr gut. Sobald er das Weinglas in der Hand gehalten hatte, waren seine Gedanken abgeschweift, was sonst nicht seine Art war, da er die Fähigkeit besaß, Arbeit und Privatleben trennen zu können, und zu Hause gehörte er ihr. Hier war ihr Kontakt zueinander rein privat, intim.
So war es im Moment jedoch nicht.
»Geht es um diese Demonstrationen?«
»Ja«, log Bertil Magnuson sie an, denn die Wahrheit war keine Option.
»Das passiert doch nicht zum ersten Mal, warum stört es dich jetzt so sehr?«
»Es scheint schlimmer zu werden.«
Das war ihr nicht entgangen, denn sie hatte wie er die Fernsehreportage gesehen und sie als aggressiv und alles andere als objektiv empfunden.
»Möchtest du darüber sprechen? Sollen wir …«
»Nein. Nicht jetzt, ich bin zu müde. Dem König hat dein Kleid gefallen?«
Damit war das Thema erledigt.
Danach wurde die Atmosphäre trotz allem privat und so intim, dass es, wie Linn Magnuson zu denken pflegte, in ihrem Doppelbett so richtig zur Sache ging. Kurz, aber »befriedigend«. Und mit einem für Bertils Verhältnisse ungewöhnlich intensiven Engagement. Als wollte er im Bett irgendetwas kompensieren, dachte sie. Dagegen hatte sie nichts einzuwenden, solange es um geschäftliche Probleme und nicht um etwas anderes ging.
Als sie eingeschlafen war, stand Bertil Magnuson leise wieder auf.
In seinen eleganten grauen Morgenmantel gehüllt schob er sich auf die Veranda hinaus, ohne Licht zu machen, fischte sein Handy heraus und zündete sich einen kleinen Zigarillo an. Das Rauchen hatte er schon vor Jahren aufgegeben, auf dem Heimweg jedoch plötzlich eine Schachtel gekauft, ohne wirklich darüber nachzudenken. Mit leicht zitternden Händen schaltete er das Handy ein, wartete und sah, dass vier Nachrichten auf seiner Mailbox waren. Die beiden ersten waren Gratulationen von Leuten, denen es wichtig war, sich gut mit ihm zu stellen. Der dritte Anrufer hatte nichts hinterlassen, und dann kam der vierte. Ein Ausschnitt aus der Aufnahme eines Gesprächs.
»Ich weiß, dass du bereit bist, weit zu gehen, Bertil, aber ein Mord?«
»Niemand kann uns damit in Verbindung bringen.«
»Aber wir wissen Bescheid.«
»Wir wissen gar nichts … wenn wir nicht wollen. Warum regst du dich so auf?«
»Weil ein unschuldiger Mensch ermordet worden ist!«
»Das ist deine Interpretation.«
»Und was ist deine?!«
»Ich habe ein Problem gelöst.«
Wieder ein paar Dialogfetzen aus demselben Gespräch derselben Personen, die über ein Problem sprachen, das vor vielen, vielen Jahren gelöst
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