Die Springflut: Roman (German Edition)
Kunst, Leute wieder aufzurichten, die zusammengestaucht worden waren.
Aber vor allem wusste sie, dass er Arvo Pärt war.
»Vera!«
Pärt hatte schon zwei Mal angeklopft. Jetzt rief er. Man öffnete Veras Tür nicht einfach, denn dann konnte sie wütend werden.
An diesem Morgen jedoch nicht, wie Pärt schlagartig klar wurde, als er sich endlich traute, die Tür zu öffnen, und auf dem Boden einen nackten Körper in einer eingetrockneten Blutpfütze umgeben von einer Ameisenstraße liegen sah.
Ihr Gesicht erkannte er nicht mehr wieder.
Ihr Gebiss lag an der Türschwelle.
*
Olivia wachte mit einem Ruck auf, fühlte sich ausgeschlafen und merkte, dass es ihrem Hals schon wieder deutlich besser ging. Mamas Medizin, dachte sie. Könnte das vielleicht eine neue Aufgabe für Maria sein? Alternative Heilmittel. Honig mit etwas Hokuspokus. Statt sich auf das Sommerhaus zu fixieren. Dann fiel ihr Eva Carlsén ein, die Frau, die Maria im Fernsehen gesehen hatte und die ein Buch über Escortservices geschrieben hatte.
Carlséns Nummer fand sie im Internet.
Olivia hatte ihr statt eines längeren Telefonats ein Treffen vorgeschlagen. Sie telefonierte nicht gern, hielt ihre Gespräche kurz. Außerdem wollte sie sich Notizen machen, so dass sie sich auf der Insel Skeppsholmen verabredeten, wo die Journalistin eine Besprechung hatte, die gegen elf endete, was zur Folge hatte, dass sie nun gegen halb zwölf auf einer Bank saßen und auf das Wasser hinaussahen, in dem vor Hunderten von Jahren die »Vasa« untergegangen war.
»Und dabei sind Sie auf Jackie Berglund gestoßen?«
»Ja.«
Carlsén hatte von ihrem Buch über Escortservices erzählt. Alles hatte damit angefangen, dass eine Freundin ihr offenbart hatte, sie habe in ihrer Jugend ein paar Jahre als Escortgirl gearbeitet, was Eva Carlsén neugierig gemacht hatte. Schon bald hatte sie festgestellt, dass diese Agenturen auch heute noch, vor allem im Internet, florierten. Aber es gab auch einen verdeckten und exklusiveren Zweig dieser Branche, und dort kam Jackie Berglund ins Spiel. Sie betrieb einen dieser verdeckten Escortservices, die niemals in Zeitungsannoncen oder im Internet auftauchten.
»Wie hieß ihre Firma?«, fragte Olivia.
»Red Velvet.«
»Hat sie den Service alleine geführt?«
»Ja, und soweit ich weiß, betreibt Jackie ihn bis heute. Sie ist eine ziemlich umtriebige Geschäftsfrau.«
»Inwiefern?«
»Sie hat einen langen Weg hinter sich, hat selbst als Escortgirl begonnen, sich dann hochgearbeitet und eine Weile mit diesem Milton zusammengehangen, hat einen Haufen junger Frauen an sich gebunden und ihren eigenen Escortservice gegründet.«
»Kriminell?«
»Es ist eine Grauzone, ein Escortservice ist an sich nichts Illegales, aber wenn der Service organisierte sexuelle Dienste umfasst, wird das Ganze als eine Art Bordell eingestuft, und Bordelle sind in Schweden bekanntermaßen verboten.«
»Und ihr Service hat so gearbeitet?«
»Wahrscheinlich, aber dafür habe ich leider keine Beweise gefunden.«
»Sie haben es versucht?«
»Ja, aber ich hatte das Gefühl, dass es ziemlich hochgestellte Persönlichkeiten gab, die sie deckten.«
»Zum Beispiel?«
»Keine Ahnung. Ich habe einen Teil meines Materials mitgebracht, ich weiß nicht, ob es etwas darin gibt, was Sie …«
»Gern!«
Eva Carlsén reichte Olivia einen Ordner und betrachtete sie.
»Warum interessieren Sie sich für Jackie Berglund?«
»Sie taucht in einem alten Mordfall auf, in dem ich recherchiere, es ist eine Seminararbeit, es geht um eine Frau, die auf Nordkoster ermordet wurde.«
»Und wann?«
»1987.«
Eva Carlséns Reaktion war unübersehbar.
»Sie kennen den Fall?«, fragte Olivia.
»Ja, allerdings, es war schrecklich, ich hatte damals ein Sommerhaus auf der Insel.«
»Auf Nordkoster?!«
»Ja.«
»Sind Sie dort gewesen, als es passiert ist?!«
»Ja.«
»Wirklich?! Das ist ja ein Ding. Erzählen Sie! Ich bin auf der Insel gewesen und habe mit Betty Nordeman gesprochen, die …«
»Die Frau mit der Ferienhaussiedlung.« Eva Carlsén schmunzelte.
»Ja! Sie war auch auf der Insel und hat mir eine Menge über verrückte Leute erzählt, die in ihren Hütten wohnten und so weiter. Aber erzählen Sie!«
Die Journalistin schaute aufs Wasser hinaus.
»Eigentlich bin ich nur da gewesen, um mein Sommerhaus leerzuräumen, das ich verkaufen wollte. Ich bin nur übers Wochenende da gewesen, und am Abend habe ich dann einen Hubschrauber gehört und gesehen, dass es ein
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