Die Springflut: Roman (German Edition)
Ufer waren von einem neunjährigen Jungen beobachtet worden, der einem Lokalreporter zufolge Ove Gardman hieß. Der Junge war nach Hause gelaufen und hatte seine Eltern alarmiert. Was machte er heute? Konnte man sich mit ihm in Verbindung setzen?
Laut Polizei war die Frau zwar bewusstlos, aber noch am Leben gewesen, als Gardmans Eltern zum Ufer kamen. Die beiden hatten daraufhin alles versucht, aber als der Rettungshubschrauber eintraf, war sie bereits tot gewesen. Wie weit entfernt wohnten die Gardmans?, dachte sie. Wie lange hatte der Helikopter gebraucht, um dorthin zu kommen?
Olivia stand auf. Ihr schwirrte der Kopf vor lauter Eindrücken und Gedanken. Beim Aufstehen hätte sie fast das Gleichgewicht verloren.
Ihr Blut befand sich noch in Knöchelhöhe.
Sie ließ sich in der Humlegårdsgatan auf den Autositz fallen und merkte, dass ihr der Magen knurrte, ein Knurren, das sie mit einem Powerbar-Energieriegel aus dem Handschuhfach dämpfte. Stundenlang hatte sie im Lesesaal gesessen. Verblüfft stellte sie fest, wie spät es schon war. Die Zeit war wie im Flug vergangen. Olivia warf einen Blick auf ihren Notizblock. Dieser alte Mordfall am Ufer hatte sie wirklich gefesselt. Nicht nur, weil Arne bei den Ermittlungen dabei gewesen war, das war nur eine private Zusatzmotivation, sondern wegen der vielen mysteriösen Aspekte. Vor allem ein ganz bestimmtes Detail hatte sich ihr eingebrannt: Es war der Polizei nie gelungen, die Identität der ermordeten Frau zu ermitteln. Sie war und blieb über all die Jahre hinweg eine Unbekannte.
Das forderte Olivia heraus.
Wenn ihr Vater noch am Leben wäre, was hätte er ihr dann erzählen können?
Sie zog ihr Handy heraus.
Åke Gustafsson und eine Frau mittleren Alters standen auf einer der gepflegten Rasenflächen der Polizeischule. Die Frau stammte aus Rumänien und war in der Schule für die Verpflegung zuständig. Sie bot ihm eine Zigarette an.
»Es gibt heute nicht mehr viele, die noch rauchen«, sagte sie.
»Da haben Sie recht.«
»Hängt wohl mit der Krebsgefahr zusammen.«
»Wahrscheinlich.«
Daraufhin rauchten sie.
Als ihre Zigaretten halb heruntergebrannt waren, klingelte sein Handy.
»Hallo, hier spricht Olivia Rönning. Also, ich habe mich für diesen Fall auf Nordkoster entschieden und wollte …«
»Das habe ich mir fast gedacht«, unterbrach Åke Gustafsson, »Ihr Vater war ja dabei und …«
»Aber das ist nicht der eigentliche Grund.«
Olivia war es wichtig, eine klare Grenze zu ziehen. Hier ging es um sie und um die Gegenwart. Das hatte nichts mit ihrem Vater zu tun. Sie hatte sich für eine Arbeitsaufgabe entschieden, die sie auf ihre Art durchführen würde. So war sie.
»Ich habe mich für den Fall entschieden, weil ich ihn interessant finde«, erklärte sie.
»Aber er ist auch ziemlich knifflig.«
»Stimmt, und genau deshalb rufe ich an. Ich würde mir gerne die richtigen Ermittlungsakten anschauen, wo finde ich die?«
»Hm, die liegen wahrscheinlich im Zentralarchiv in Göteborg.«
»Aha? Okay, schade.«
»Aber die hätten Sie ohnehin nicht einsehen dürfen.«
»Warum nicht?«
»Weil es sich um einen ungelösten Mordfall handelt, der noch nicht verjährt ist. Niemand wird in eine laufende Ermittlung eingeweiht, wenn er nicht zum Team gehört.«
»So, so … und was soll ich jetzt tun? Woher bekomme ich mehr Informationen?«
Es wurde still in der Leitung.
Olivia saß, das Handy ans Ohr gepresst, am Steuer. Worüber dachte er nach? Sie sah mit entschlossenen Schritten eine Politesse näher kommen. Ihr Wagen stand auf einem Behindertenparkplatz. Das war nicht gut. Sie ließ den Motor an und hörte gleichzeitig Åke Gustafssons Stimme.
»Sie könnten mit dem Leiter der Ermittlungen sprechen«, sagte er.
»Er hieß Tom Stilton.«
»Ich weiß.«
»Wo finde ich ihn?«
»Keine Ahnung.«
»Im Präsidium?«
»Das glaube ich nicht. Aber fragen Sie Olsäter, Mette Olsäter, sie ist Kriminalkommissarin, und die beiden haben früher häufig zusammengearbeitet, vielleicht kann sie Ihnen weiterhelfen.«
»Und wo finde ich sie?«
»Bei der Landeskriminalpolizei, im Gebäude C.«
»Danke!«
Olivia fuhr vor den Augen der Politesse davon.
*
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Für die sture Vera war es kein Problem, sich bei den wohlsituierten Bürgern des Stadtteils Södermalm Gehör zu verschaffen, die in die Markthalle wollten, um ihre
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