Die Springflut: Roman (German Edition)
in einer Kneipe.
Alleine.
Olivia lebte gerne als Single. Sie hatte es selbst so gewollt, obwohl sie nie Probleme mit Männern gehabt hatte, im Gegenteil. Ihre ganze Kindheit und Jugend hatten ihr bestätigt, dass sie attraktiv war. Da waren die vielen Fotos von einem süßen, kleinen Mädchen und Arnes zahllose Urlaubsfilme mit Olivia im Mittelpunkt. Dann all die Blicke, als sie in die große Welt hinaustrat. Eine Zeitlang war sie dem Hobby nachgegangen, sich eine Sonnenbrille aufzusetzen und die Männer zu beobachten, denen sie begegnete. Wie ihre Blicke auf sie fielen, wo immer sie unterwegs war, und sich erst dann wieder von ihr lösten, wenn sie an ihnen vorbei war. Das war sie jedoch ziemlich schnell leid gewesen. Sie wusste, wer sie war und was sie auf dieser Ebene zu bieten hatte. Das gab ihr Sicherheit.
Sie musste nicht auf die Jagd gehen.
Wie Lenni.
Olivia hatte ihre Mutter und ihre kleine Wohnung. Zwei weißgestrichene Zimmer mit Dielenböden, die ihr allerdings eigentlich nicht gehörten, sondern nur zweiter Hand von einem Cousin gemietet waren, der für den Staatlichen Schwedischen Exportrat in Südafrika arbeitete. Zwei Jahre würde er dort bleiben und sie solange in seiner Möblierung wohnen.
Damit musste sie leben .
Außerdem hatte sie ja Elvis, den Kater, der ihr von einer intensiven Beziehung zu einem attraktiven Jamaikaner geblieben war, den sie in der Nova Bar in der Skånegatan kennengelernt hatte. Erst hatte er sie unglaublich heiß gemacht, und dann hatte sie sich in ihn verliebt.
Ihm hatte sie die umgekehrte Version erzählt.
Fast ein Jahr lang waren sie gereist und hatten gelacht und gevögelt, aber dann hatte er eine Freundin aus seiner Heimat getroffen. So hatte er sich ausgedrückt. Die allergisch gegen Katzen war, weshalb der Kater in der Skånegatan geblieben war. Als der Jamaikaner ausgezogen war, hatte sie ihn Elvis getauft. Er hatte ihn vorher nach Haile Selassies Namen in den dreißiger Jahren Ras Tafari genannt.
Elvis entsprach eher ihrem Geschmack.
Mittlerweile liebte sie den Kater genauso sehr wie den Mustang.
Sie trank einen Schluck Bier.
Es schmeckte gut.
Als sie die zweite Dose öffnen wollte, entdeckte sie, dass es Starkbier war, woraufhin ihr einfiel, dass sie weder zu Mittag noch zu Abend gegessen hatte. Wenn sie sich in etwas verbiss, genoss die Nahrungszufuhr nicht unbedingt höchste Priorität. Jetzt spürte sie, dass eine gewisse Grundlage nötig gewesen wäre, um dem leichten Rollen im Gehirn entgegenzuwirken. Sollte sie sich eine Pizza holen gehen?
Nein.
Das leichte Rollen war eigentlich ganz angenehm.
Sie nahm Büchse Nummer zwei in das kompakte Schlafzimmer mit und ließ sich auf die Tagesdecke fallen. An der gegenüberliegenden Wand hing eine länglich schmale, grauweiße Holzmaske, eines der afrikanischen Objekte ihres Cousins. Sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie ihr nun gefiel oder nicht. Es gab Nächte, in denen sie aus einem eisigen Traum erwachte und sah, wie das Mondlicht vom weißen Mund der Maske reflektiert und auf sie selbst geworfen wurde. Das war ein wenig gruselig. Olivia ließ den Blick zur Decke schweifen. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie schon seit Stunden keinen Blick mehr auf ihr Handy geworfen hatte! Das war ungewöhnlich, denn das Handy gehörte zu Olivias Outfit. Wenn es nicht in ihrer Tasche steckte, fühlte sie sich nackt. Jetzt zerrte sie es heraus und schaltete es ein. Las Mails und SMS , ging in ihren Kalender und landete schließlich bei der App des Schwedischen Fernsehens. Bevor sie eindösen würde, konnte sie noch kurz die Nachrichten schauen, das war perfekt!
» Aber wie wollen Sie jetzt vorgehen?«
»Dazu kann ich momentan nichts sagen.«
Der Mann, der momentan nichts sagen konnte, hieß Rune Forss, war Kommissar bei der Stockholmer Polizei und gut fünfzig Jahre alt. Er hatte den Auftrag erhalten, die Gewalttaten an Obdachlosen aufzuklären. Ein Auftrag, der Forss offensichtlich nicht dazu gebracht hat, vor Freude an die Decke zu springen, dachte Olivia. Der Mann schien vom alten Schlag zu sein und zu jenem Teil des alten Schlags zu gehören, der fand, dass viele Menschen an einigem selber schuld waren. Vor allem, wenn es um Gauner ging, und ganz besonders, wenn es um Leute ging, die sich nicht am Riemen reißen, einen Job besorgen und benehmen konnten wie alle anderen auch.
Diese Menschen waren mit Sicherheit selber schuld.
Eine Haltung, die in der Polizeischule nicht gelehrt wurde, auch wenn alle
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