Die Springflut: Roman (German Edition)
weitermachte?
Sie?
Es wurde Zeit, die Sache fallen zu lassen.
Jetzt musste Schluss sein, sie würde den Ufermord auf sich beruhen lassen. Es gab Grenzen, und ihre war durch den Tod von Elvis erreicht worden.
Olivia setzte sich im Bett auf und stellte die Tasse ab. Am besten brachte sie das extrem schwierige Telefonat mit ihrer Mutter hinter sich. Am besten rief sie Maria an, bevor sie endgültig zusammenbrach.
»Was sagst du da?«
»Ja, ich weiß, es ist schlimm«, erwiderte Olivia.
»Wie kannst du nur das Fenster aufstehen lassen, wenn er alleine zu Hause ist?«
»Ich weiß es nicht, ich habe es wohl einfach vergessen, er ist ja auch früher schon einmal entwischt und …«
»Aber da war er dann unten im Hof, nicht?«
»Ja.«
»Und da hast du alles abgesucht?«
»Ja.«
»Hast du der Polizei Bescheid gesagt?«
»Ja.«
»Gut. Wirklich traurig, Liebes, aber er ist sicher bald wieder zurück! Katzen streunen manchmal tagelang herum!«
Sobald sie aufgelegt hatten, brach Olivia zusammen. Sie konnte nicht mehr. Es war ihr gelungen, ihrer Mutter die einzige glaubwürdige Version einzureden, die ihr eingefallen war: dass Elvis verschwunden war. Ihr zu erzählen, was sich wirklich ereignet hatte, war ihr unmöglich erschienen und hätte zu tausend Nachfragen geführt, die sich zu einer einzigen gebündelt hätten.
»Hast du ihn totgefahren?«
Diese Frage wollte sie nicht hören, nicht von ihrer Mutter. Die würde sie niemals ertragen können. Also tischte sie ihr eine dicke Lüge auf, und mit der würden sie ab heute leben müssen. Elvis würde verschwunden bleiben, und sie würde trauern, weil er fort war.
Ein Familiengeheimnis.
Sie kauerte sich zwischen den Fotos zusammen und ließ ihren Tränen freien Lauf.
V ERSCHWUNDENER UNTERNEHMER ERMORDET AUFGEFUNDEN«
Die Nachricht von Nils Wendts Ermordung erregte in den Medien eine gewisse Aufmerksamkeit. Zum Zeitpunkt seines Verschwindens war er der Kompagnon von Bertil Magnuson in ihrer gemeinsamen Firma gewesen. Damals war darüber spekuliert worden, ob der Grund für sein Verschwinden ein Konflikt zwischen den Geschäftspartnern gewesen sein könnte. Oder sogar, ob Magnuson persönlich in Wendts Verschwinden verwickelt war. Das wurde jedoch nie abschließend geklärt.
Vielleicht würde es sich jetzt klären lassen.
Außerdem tauchten natürlich neue Spekulationen auf, etwa darüber, dass der Mord möglicherweise in einer Verbindung zur MWM von heute stand, sowie zu der Frage, wo Nils Wendt sich all die Jahre aufgehalten hatte. Immerhin war er schon seit 1984 verschwunden gewesen.
Und nun hatte man ihn in Stockholm ermordet aufgefunden.
*
Bertil Magnuson saß in einem Rohrsessel im Wellnessbereich des Sturebads. Er hatte gerade zwanzig Minuten im Dampfbad verbracht und fühlte sich angenehm träge. Auf dem Glastisch neben ihm lagen mehrere Tageszeitungen, die dem Mord an Nils Wendt größere oder kleinere Artikel gewidmet hatten. Bertil studierte jeden einzelnen, um zu sehen, ob irgendwo etwas dazu stand, wo Wendt sich aufgehalten hatte, bevor er als Leiche in Stockholm auftauchte, fand aber nichts, nicht einmal wüste Spekulationen. Wendts Aktivitäten zwischen 1984 und heute waren nach wie vor unbekannt. Niemand wusste, wo er gelebt hatte.
Bertil Magnuson strich mit den Händen über seinen Frotteebademantel. Neben ihm stand ein beschlagenes Glas kaltes Mineralwasser. Er grübelte über seine Lage nach. Er war gerade ein akutes Dreitageproblem losgeworden und hatte stattdessen ein Erster-Juli-Problem bekommen. Das war zwar eine etwas längere Galgenfrist, aber die Zeit verging schnell, wenn der Hahn gespannt war.
Dann trat, auch er in einem weißen Frotteemantel, Erik Grandén ein.
»Hallo, Bertil. Man hat mir gesagt, dass ich dich hier finden würde.«
»Du willst in die Sauna?«
Grandén ließ den Blick durch den Raum schweifen und stellte fest, dass sie allein waren. Dennoch senkte er seine wohltönende Stimme.
»Ich habe das von Nils gelesen.«
»Ja.«
»Ermordet?«
»Offensichtlich.«
Grandén ließ sich in den Rohrsessel neben Bertil Magnuson fallen. Selbst im Sitzen war er fast einen Kopf größer. Er schaute auf seinen Freund hinunter.
»Aber ist das nicht ungeheuer, wie soll ich es sagen, unangenehm?«
»Für wen?«
»Für wen? Wie meinst du das?«
»Du wirst ihn ja wohl kaum vermisst haben.«
»Nein. Aber wir waren doch mal Freunde, in früheren Zeiten, einer für alle.«
»Das ist lange her, Erik.«
»Sicher, aber
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