Die Springflut: Roman (German Edition)
sich systematisch an die Arbeit.
Sie hatten Beamte losgeschickt, die in der Umgebung der Insel nach Zeugen suchten. Andere versuchten wiederum, Angehörige von Nils Wendt aufzutreiben. Sie hatten eine Schwester gefunden, die in Genf lebte. Seit dem Verschwinden ihres Bruders in den achtziger Jahren hatte sie nichts mehr von ihm gehört, bestätigte jedoch die Beschreibung, die sie ihr geben konnten. Die Narbe an der Augenbraue stammte aus Kindertagen. Sie hatte ihren Bruder damals gegen ein Bücherregal geschubst.
Das war bis auf weiteres alles. Jetzt kam es darauf an, möglichst schnell alle Berichte vorliegen zu haben. Vor allem den der Spurensicherung, die das graue Auto unter die Lupe nahm.
Mette informierte Lisa Hedqvist und Bosse Thyrén, die jüngeren Mitglieder ihrer Ermittlungsgruppe, über Wendts Verschwinden 1984, kurz nachdem ein schwedischer Journalist namens Jan Nyström tot in seinem Auto aufgefunden worden war. Auch dieser Wagen war in der Nähe von Kinshasa im damaligen Zaire in einen See gefahren worden.
»Das ist schon ein bisschen seltsam«, sagte Mette.
»Du meinst, dass die Vorgehensweise sich ähnelt?«, fragte Lisa Hedqvist nach.
»Ja. Jedenfalls wurde der Vorfall in Zaire vor Ort als Unfall eingestuft, aber wir hatten damals den dringenden Verdacht, dass es sich auch um einen Mord handeln könnte. Zur selben Zeit verschwand Wendt aus Kinshasa, und es wurde viel darüber spekuliert, inwiefern er in die Sache verwickelt war.«
»In den Tod des Journalisten?«
»Ja. Dieser Journalist arbeitete an einem Artikel über Wendts Unternehmen, MWM . Aber dieser Zusammenhang ist nie genauer untersucht worden.«
Lisa Hedqvists Handy klingelte. Sie meldete sich, machte sich Notizen und beendete das Gespräch.
»Die Taucher haben ungefähr da, wo das Auto stand, ein Handy im Wasser gefunden«, sagte sie. »Könnte es aus der offenen Fahrertür gefallen sein?«
»Funktioniert es?«, fragte Mette.
»Noch nicht, sie bringen es den Kriminaltechnikern.«
»Gut.«
Mette Olsäter wandte sich an Bosse Thyrén.
»Du könntest vielleicht mal versuchen, Wendts damalige Freundin zu finden, vor seinem Verschwinden lebte er mit einer Frau zusammen.«
»Damals in den Achtzigern?«
»Ja, ich glaube, sie hieß Hansson, ich schaue mal nach.«
Bosse Thyrén nickte und verließ den Raum. Ein älterer Kollege kam zu Mette Olsäter.
»Wir haben alle Hotels in Stockholm überprüft, aber ein Nils Wendt hat nirgendwo übernachtet.«
»Okay, setzt euch mit den Kreditkartenunternehmen in Verbindung und schaut, ob die etwas für euch haben. Und mit den Fluggesellschaften.«
Die Gruppe verließ den Raum. Jeder wusste, was er zu tun hatte. Mette Olsäter blieb alleine zurück.
Sie machte sich Gedanken über das Motiv.
*
Olivia kämpfte darum, nicht zusammenzubrechen.
Als Erstes spülte sie die Futternäpfe aus und stellte sie in den Küchenschrank. Anschließend trug sie die Katzenstreu hinaus und sammelte alle Knäuel und Bälle ein, mit denen Elvis immer gespielt hatte. Dabei wäre sie fast in Tränen ausgebrochen. Sie legte alles in eine Plastiktüte und wusste nicht, ob sie diese wegwerfen sollte. Noch nicht, dachte sie, noch nicht. Sie stellte die Tüte auf die Fensterbank und schaute lange regungslos hinaus.
Sie spürte, dass die Angst in ihrer Brust größer wurde, es in ihrem Magen brannte und es ihr schwerfiel zu atmen. Mit jeder neuen Frage wuchs der Druck. Hat er noch gelebt, als ich losgefahren bin? Habe ich ihn totgefahren? Habe ich Elvis getötet? Fragen, von denen sie wusste, dass sie ihr noch lange zusetzen würden.
In ihrem tiefsten Inneren wusste sie gleichzeitig aber auch, wer wirklich Schuld an dem Ganzen hatte, und das war nicht sie. Sie hatte Elvis nicht unter die Motorhaube gesteckt, sondern ein paar Schweine, die Jackie Berglund zu ihr geschickt hatte.
Sie hasste diese Frau!
Im nächsten Moment merkte sie, dass es ihr guttat, ihren Hass und ihre Verzweiflung gegen eine konkrete Person zu richten. Eine alte Luxushure!
Sie wandte sich vom Fenster ab, hüllte sich in eine Decke, nahm eine Tasse heißen Tee in die Hand, ging ins Schlafzimmer und setzte sich ans Kopfende gelehnt auf ihr Bett. Auf der Tagesdecke hatte sie alle Fotos von Elvis verteilt, die sie gefunden hatte. Es waren viele. Sie berührte die Bilder, eines nach dem anderen, und spürte, dass der Schock allmählich nachließ, so dass sie sich den harten Fakten stellen konnte.
Wen würden sie als Nächstes töten, wenn sie
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