Die Springflut: Roman (German Edition)
trotzdem. Berührt dich das nicht?«
»Doch.«
Aber nicht so, wie du denkst, dachte Bertil.
»Und warum war er auf einmal wieder hier?«, sagte Grandén.
»Keine Ahnung.«
»Könnte es etwas mit uns zu tun haben? Mit der Firma?«
»Warum sollte es?«
»Das weiß ich nicht, aber in meiner momentanen Lage wäre es höchst unpassend, wenn jemand anfangen würde, in der Vergangenheit herumzuschnüffeln.«
»Du meinst deine Zeit im Vorstand?«
»Ich meine meine Verbindung zu MWM . Auch wenn es daran nicht das Geringste auszusetzen gibt, passiert es so leicht, dass das eine auf das andere abfärbt.«
»Ich glaube nicht, dass hiervon etwas auf dich abfärben wird, Erik.«
»Schön.«
Grandén stand auf, zog den Frotteemantel aus und entblößte einen schlanken Leib, der kaum weniger weiß war als der Frotteestoff. In Lendenhöhe hatte er ein sehr kleines, blaugelbes Tattoo.
»Was ist denn das?«, fragte Bertil.
»Ein Wellensittich. Er hieß Jussi. Er flog uns weg, als ich sieben war. Ich gehe dann mal ins Dampfbad.«
»Tu das.«
Grandén entfernte sich. Als die Tür hinter ihm zufiel, klingelte Bertil Magnusons Handy.
Es war Mette Olsäter.
*
Stilton hatte ziemlich lange dagegen angekämpft, aber nach einer weiteren Nacht mit pulsierenden Leibschmerzen hatte er aufgegeben und sich zur Krankenstation Pelarbacken geschleppt, die von der Diakonie Ersta betrieben wurde und sich auf die Behandlung Obdachloser konzentrierte.
Dort stellte man einiges fest, allerdings nichts, was so schwerwiegend war, dass ein Aufenthalt in einem Krankenhausbett notwendig geworden wäre. Wenn es nicht absolut notwendig war, nahm man nur ungern jemanden stationär auf. Seine inneren Organe waren unverletzt geblieben, und die äußeren Verletzungen wurden versorgt, wobei sich der junge Arzt, der mit einem ziemlich langen Instrument in der seltsamen gelbbraunen Schmiere stocherte, die auf den meisten Wunden lag, wunderte.
»Was ist denn das?«
»Wundharz.«
»Harz?«
»Ja.«
»Aha? Seltsam.«
»Was denn?«
»Nun, die Wundränder verheilen auffallend schnell.«
»Ach ja?«
Was glaubte der Kerl eigentlich? Dass nur Ärzte etwas von Heilmitteln verstanden?
»Kann man das irgendwo kaufen?«
»Nein.«
Stilton bekam einen neuen und sauberen Verband um den Kopf und verließ das Gebäude mit einem Rezept für Medikamente, die er niemals abholen würde. Auf der Straße tauchten wieder die Bilder in seinem Kopf auf. Die Bilder blutiger, gehetzter kleiner Jungen, die in Käfigen miteinander kämpften. Widerwärtige Bilder. Er verdrängte sie und dachte an den Nerz. Der kleine Tausendsassa hatte ihm tatsächlich mehr oder weniger das Leben gerettet. Wenn er die restliche Nacht draußen in Årsta liegen geblieben wäre, hätte die Sache richtig übel ausgehen können. Der Nerz hatte ihn nach Hause gebracht, ihn eingesalbt und zugedeckt.
Ich hoffe, sie hat ihn mitgenommen, dachte Stilton.
»Haben Sie ihn mitgenommen?«
»Wen?
»Den Nerz? Letztens?«
Olivia hatte angerufen, als Stilton im Zentrum der Stadtmission stand. Er versuchte, ein paar neue Kleider für sich zu finden. Die alten waren ziemlich blutverschmiert.
»Nein«, sagte sie.
»Warum nicht?«
»Wie geht es Ihnen?«
»Warum haben Sie ihn nicht mitgenommen?«
»Er wollte zu Fuß gehen.«
Unsinn, dachte Stilton. Wahrscheinlich waren sie schon einen halben Meter von der Tür entfernt aneinandergeraten. Er wusste nur zu gut, wie der Nerz manchmal sein konnte, und das Wenige, was er von Rönning gesehen hatte, sagte ihm, dass das nichts für sie war.
»Was wollen Sie?«, fragte er. »Ich habe gedacht, wir wären fertig miteinander.«
»Erinnern Sie sich noch an das, was ich Ihnen im Wohnwagen von meinem Besuch auf Nordkoster erzählt habe, von einem Mann, der dort aufgetaucht ist, erst oben am Ufer und dann bei meiner Hütte?«
»Ja. Und?«
Olivia erzählte, was sie nur zehn Minuten vorher auf einer Nachrichtenseite im Internet gesehen und ihr Herz zum Pochen gebracht hatte. Als sie fertig war, sagte Stilton: »Das müssen sie demjenigen erzählen, der die Ermittlungen in dem Mordfall leitet.«
*
Die Frau, die in dem Mordfall die Ermittlungen leitete, saß dem früheren Kompagnon des ermordeten Nils Wendt in einer Lobby im zweiten Stock des Bürogebäudes am Sveavägen gegenüber. Magnuson hatte ihr zehn Minuten zugebilligt. Danach müsse er dringend in eine Besprechung, hatte er behauptet. Mette Olsäter kam direkt zur Sache.
»Haben Sie und Wendt in der
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