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Die Spucke des Teufels

Die Spucke des Teufels

Titel: Die Spucke des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Theiss
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bei ihm in die Lehre gehen kann. Er wird dem
Vater ein Angebot machen, ein gutes Angebot, sobald Lisbeth kommt, ihn
abzuholen.

    Aber Lisbeth kommt nicht. Stattdessen steht eines Abends Jost,
der fahrende Barbier, vor der Tür. Hat sich einen komischen neuen Mantel zugelegt.
Wie ein Bajazzo sieht er aus, schaut freilich nicht so lustig drein. Schaut
vielmehr aus wie einer, dem die Welt ein einziges Jammertal ist.

    Willem zieht ihn ins Haus, haut ihm auf die Schulter: »Na,
warst eine Weile unterwegs? Erzähl mal! Wie geht’s dir?«

    Aber der Jost will ausnahmsweise nichts erzählen, tut im
Gegenteil geheimnisvoll. Es gebe einen schwierigen Sachverhalt, über den er
sich mit Willem beraten müsse, aber erst, wenn der Franz im Bett liege.

    Was an diesem Abend nicht lange dauert. Der Bub gähnt
viel und sagt, er sei müde, isst das Doppelte wie sonst und geht in seine
Kammer.

    »Der fühlt sich bei mir schon wie daheim«, prahlt Willem.

    Jost schweigt, holt eine Flasche Korn aus seinem Beutel,
schenkt sich und Willem die Zinkbecher voll und beginnt im Tonfall eines
Moritatensängers und in allen Einzelheiten zu erzählen: Nicht Franz, sondern
Vincent heißt der Bub, hat keine Eltern mehr. Und Lisbeth ist keine Tante von
ihm, sondern hat ihn in einer eisigen Nacht vor dem Erfrieren gerettet und vor
dem sicheren Hungertod …

    »Mir doch egal, ob er mit der Lisbeth verwandt ist«,
brummt Willem. »Der Franz oder Vincent oder wie er heißt, kann bleiben, wenn er
mag. Und ich glaub, dass er mag! Wenn er ein Waisenjunge ist, nehm ich ihn gern
an Kindes statt an, geh ich eben zur Kreisverwaltung und –«

    »Herr im Himmel, bloß nicht! Die suchen den doch! Ist ein
Deserteur, geflohen von einer frisch angeworbenen Truppe aus Krefeld.«

    Willem zuckt zusammen. Bei dem Wort Deserteur zuckt er immer zusammen. Dann besinnt er sich und prustet los. »So ’n Blödsinn!
Deserteur! Der ist ja nicht mal durch den Stimmbruch!«

    »Du lässt einen ja nie ausreden«, schimpft der Jost,
schluckt seinen Korn runter, gießt sich noch einen ein. Dazu erzählt er lang
und breit, wie der Vincent aus dem Krefelder Waisenhaus geholt wurde, abgehauen
und von Lisbeth in ihrem Garten gefunden worden ist. Und dann erzählt er von
dem Schwesterchen, der Hannegret, die jetzt bei einer sogenannten Tante in
Herzogenbusch in Holland ist, aber beileibe nicht in guter Obhut, sondern als
heimliche Attraktion eines Freudenhauses mit anschaffen muss und trotz ihrer
fünf Jahre den zahlenden Männern ihr Mösje, wie Jost es nennt, hinhalten
muss. Und dann heult er los, der Jost, weil die Welt so schlecht ist. Und weil
er schon sturzbesoffen ist.

    Da muss sich Willem auch noch einen Korn einschenken. Und
dann noch einen, weil er jetzt erst versteht, weshalb der Franz oder Vincent
immerzu nach dem Ort Herzogenbusch gefragt hat, wie weit das denn wär. Und
wieso er wissen wollte, ob an der Grenze zu Holland ein Moor ist. Und ob man
wirklich im Moor ertrinkt, auch wenn man schwimmen kann, und all solche Dinge.
Der arme Bub will womöglich allein über die Grenze. Das muss er ihm unbedingt
ausreden, gleich morgen früh!

     
    In der Früh fühlt sich Willems Kopf an wie ein
Triesel. Kaum, dass er ihn aus den Kissen hebt, dreht sich die Welt. Doch dem
Jost scheint es noch ärger zu gehen. Ohne ein Wort zu sprechen, löffeln sie
ihre Hafergrütze.

    »Wo ist eigentlich der Bub?«, fragt Jost nach einer
Weile.

    Da schießt Willem das Blut in den Schädel. »Der steht
immer mit den Hühnern auf und schreibt dann irgendwas auf, in so eine Kladde. –
Aber sobald ich mit dem Kessel klappere, ist er da.«

    »Fränzken, Frühstück!«, kreischt Willem und lauscht atemlos
auf Antwort.

    »Was schreibt er denn da rein, in seine Kladde?«, fragt
Jost matt. »Führt er womöglich ein Tagebuch?«

    Willem antwortet nicht. Heiß überfällt ihn die Ahnung,
dass es zu spät ist. Er stürzt die Treppe zur Schlafkammer rauf – verdammt, der
Bub ist wirklich weg! Weg mit Sack und Pack. Und mit der Kladde!

    Sie schwingen sich auf Josts Gaul, galoppieren zur Nette
hinüber, die sich gemächlich wie eine alte Viper durchs Grenzland schlängelt,
rufen ein ums andere Mal: »Fraaaanz«, dann auch: »Viiiiiincent«, bis Willem
einfällt, dass es sowieso Unsinn ist, denn wenn der Bub weg will, will er weg
und wird sich von ihrem Gegröle nicht beeindrucken lassen. Sie müssen es anders
anfangen.

    »Sag mal, beginnt hier nicht schon das Mooooor?«, ruft
Willem theatralisch

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