Die Spucke des Teufels
seiner Jugend – er hat vor wenigen
Tagen seinen 21. Geburtstag gefeiert – zufallen konnte.
Vor Stunden hat er nebst vielen hohen Herren in den eleganten
Fauteuils der Eingangshalle Platz genommen, wo schon diverse Personen gewartet
haben müssen, denn die samtenen, mit geschweiften Ornamenten versehenen Polster
muten von Wolzogen etwas fadenscheinig, um nicht zu sagen malträtiert an.
Prinz August Wilhelm von Preußen, der jüngere Bruder Sr.
Majestät, fläzt sich in seinem Sitz, tauscht mit Generalmajor Friedrich Wilhelm
von Seydlitz Zoten aus. Kriegsminister Heinrich Graf von Podewils blättert mit
zitternden Händen in einer der zur Lektüre bereitliegenden Gazetten. Die anderen
sinnieren schweigend vor sich hin.
Die Porzellanuhr mit den vergoldeten Ziffern und Zeigern
schnarrt, klingelt vier Mal in markerschütternder Lautstärke, worauf elf
düstere Schläge folgen. Wiewohl die Unterredung gegen neun Uhr hätte beginnen
sollen, ist Er noch nicht erschienen.
Er pflegt, wie man sich erzählt, mit dem ersten Hahnenschrei
aufzustehen, sich sodann spärlich zu waschen, um hernach umso ausführlicher zu
frühstücken und sich dem Flötenspiel zu widmen. Anschließend geruht Er
regelmäßig seine Zeit mit den Belangen von Bauern, Handwerkern und Pauvres zu
füllen, mit Unmengen von Petitionen, die sich auf seinem Arbeitstisch einfinden,
da quer durchs Land die Kunde geht, dass dieser König ein freigeistiger und
gerechter Mann sei, ein neuer König Salomo, welcher sich als bloßer erster
Diener seines Reiches etikettiert hat und ein Freund seiner Untertanen sein
will. Somit dauert es täglich eine Weile, ehe es Ihm beliebt, sich seinen
Ministern und Adjutanten in Staatsgeschäften zu widmen, mochten diese noch so
dringlich erscheinen.
Die Uhr schlägt halb, da bricht die Tür zur Straßenfront
auf und ein schmalschultriger Mann in nachlässiger Kluft und ohne Perücke
stürmt herein wie ein Laufbursche, der sich verspätet hat, gefolgt einzig von
den wehenden Schößen seines verfärbten Militärrocks.
Ist Er das? Ohne Ankündigung, ohne Begleitung? So muss es
sein, denn die Anwesenden erheben sich prompt aus ihren Fauteuils und senken
ihre Häupter. Von Wolzogen springt auf, um sein Zögern wettzumachen, und
vollführt eine französische Kratzfußvariante, die er am Vortag eingeübt hat.
Se. Majestät verzichtet darauf, jedem der Anwesenden die Hand
zum Kuss zu reichen, unterbreitet stattdessen den Vorschlag, wegen der
vorgerückten Stunde zusammen ein zweites Frühstück einzunehmen – und zwar in
seiner geliebten Konzertkammer. Man möge Ihm folgen, sagt Er und schreitet voran.
Vier Lakaien eilen sogleich herbei, um die Prozession hoher Herren eine
gewundene Treppe hinauf in die erste Etage zu führen, wo fahnenschwingende
Engel vom Deckengewölbe grüßen. Nun stößt Se. Majestät höchstderoselbst eine
Flügeltüre auf, durchmisst ohne jeden Aufenthalt einen ungewöhnlich hellen, mit
roséfarbenem Stuckmarmor verkleideten und von korinthischen Pilastern gegliederten
Raum, dessen augenfälligstes Schmuckwerk ein farbiges Deckenfresko aus
Muschelornamenten darstellt. Die nächste Flügeltür führt in einen lebhafter und
prächtiger gestalteten Saal in zartgrünem Marmor, mit reichem Golddekor im Stil
des Rokoko ausgelegt. Doch auch hier möchte Se. Majestät offenkundig nicht
verweilen. Erst im dritten Zimmer, einem nahezu schmucklos klassizistischen
Raum von der Größe eines Privatgemachs findet die Versammlung eine Tafel nebst
einem Dutzend Sessel vor. Der König setzt sich wortlos ans Kopfende, sein
Geheimer Kammerier Michael Gabriel Fredersdorf rechts neben ihn. Sonst ist offenbar
keine Sitzordnung vorgesehen und so dauert es eine Weile, bis die Herren sich
mittels höflicher Worte und Gesten über die Platzierung verständigt haben. Von
Wolzogen kommt am rechten Fußende der Tafel zu sitzen und gewinnt somit einen
steten Blick auf die Galerie gewiss erhabener Malerei entlang der Kaminwand.
»Ici!«, ruft Se. Majestät und klatscht in die Hände, was
aufgrund seiner speckigen Glacéhandschuhe kaum ein Geräusch verursacht.
Gleichwohl strömen Lakaien aus beiden Seitentüren, tragen
geblümtes Porzellangeschirr nebst feinen silbernen Gabeln auf, sodann
versilberte Kannen mit Kaffee und Sahne sowie zu Würfeln gepressten und in
feines, fast durchscheinendes Papier gewickelten Zucker. Weiß gekleidetes Küchenpersonal
balanciert Teller mit kandiertem Obst, gebuttertem Rosinenbrot und bunt
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