Die Spur der Hebamme
Vorwänden – ich bin sicher, da fällt dir schon etwas ein – durchs Dorf zu stromern und nach Melchiors Leuten Ausschau zu halten.«
Nach einem Augenblick der Verblüffung strahlte der Junge ihn begeistert an. »Als Euer Spion, meint Ihr? Großartig! Ihr könnt Euch ganz und gar auf mich verlassen!«
Schon wollte Peter losstürzen, aber Christian hielt ihn zurück. »Sie dürfen dich nicht sehen, und sie dürfen auf keinen Fall merken, dass du sie entdeckt hast. Denk an den Gerichtstag! Wenn Melchior dich in die Finger bekommt, wird er sich an dir rächen.«
»Pah, dazu muss er mich erst einmal kriegen«, meinte Peter verächtlich.
»Bursche«, knurrte Christian und setzte seine grimmigste Miene auf, was sofort Wirkung zeigte. Erschrocken verharrte der Junge und starrte ihn reumütig an.
»Das ist kein Spiel! Deine Aufgabe ist überaus wichtig, und ich will nicht, dass dir dabei etwas zustößt.«
Er beugte sich zu dem eingeschüchterten Jungen hinab. »Dann nützt du uns nämlich nichts mehr. Wenn du jemanden erkennst, wirst du nichts weiter tun, als mir oder einem meiner Leute unverzüglich Bescheid zu geben. Ist das klar?«
»Ja, Herr. Dürfen die anderen Jungs aus unserer Bande mitmachen?«
»Kann ich mich auf sie verlassen?«
Peter nickte heftig.
»Dann hol sie her, ich will mit ihnen reden.«
Peter rannte los, um wenig später mit vier Jungen zurückzukommen, die einst zu Melchior gehört und sich dann entschlossenhatten, im Dorf zu bleiben und von ehrlicher Arbeit zu leben.
Christian nahm sich die vier, die mit stolzer Miene vor ihm standen und dabei um den besten Platz rangelten, mit derselben Gründlichkeit vor wie seinen jungen Stallburschen. Er wusste, dass sie als einstige Taschendiebe geschickt darin waren, zu beobachten, auszukundschaften und wenn nötig unbemerkt wieder zu verschwinden. Doch das waren Melchiors verbliebene Anhänger auch, noch dazu älter und ohne Zweifel rücksichtslos. Er wollte nicht, dass die Jungen vor lauter Abenteuerlust eine Unvorsichtigkeit begingen, die sie das Leben kosten konnte.
»Unsere Abmachung bleibt geheim: Ab sofort steht ihr in meinem Dienst«, verkündete er. »Ich zahle euch den gleichen Sold pro Woche wie jedem von Herwarts Leuten. Aber wenn ihr mir wirklich zur meiner Zufriedenheit dienen wollt, dann sorgt dafür, dass euch nichts geschieht!«
Nach dem Essen rief Christian alle in seine Kammer, auf die er in den bevorstehenden Auseinandersetzungen besonders zählte: Lukas, Gero und Richard, Herwart als Hauptmann der Wache, Till, seinen Knappen Konrad und, zu deren Begeisterung, auch Kuno und Bertram.
Die bleich wirkende Marthe schenkte Wein aus und setzte sich dazu, denn sie wusste, dass Christian sie bei dieser Besprechung dabeihaben wollte.
»Kriegsrat?«, meinte Lukas nach einem kurzen Blick über die Runde.
»Kriegsrat«, bestätigte Christian knapp. In den vergangenen Wochen hatte er verschiedene Vorkehrungen zur Verteidigung des Dorfes getroffen. Die Warttürme waren ständig besetzt, die letzten Bäume gefällt, die die Sicht rund ums Dorf versperrenkonnten, und nachdem der Frost aus dem Boden war, hatte der Bergmeister auf seinen Befehl hin den Bach anstauen lassen, damit das freie Gelände im Osten versumpfte. So wurden mögliche Angreifer gezwungen, Wege zu nutzen, die die Verteidiger gut überwachen konnten.
Doch jetzt war die Zeit der Vorbereitungen vorbei. Jeden Tag konnte der Kampf beginnen.
»Zwei von Herwarts Männern sind vorgestern von einem Streifzug im Dunkelwald nicht zurückgekehrt«, begann er ohne Vorrede. »Die Suche brachte keine Spur – weder von den Männern noch ihren Leichen oder einer Bande, die im Wald haust. Wir müssen aber davon ausgehen, dass die Angreifer schon hier sind, ganz in der Nähe, dass sie das Dorf beobachten und den nächsten Überfall planen.«
»Soll ich noch mehr Leute ausschicken, die den Wald absuchen?«, bot Herwart an.
»Nein. Keine ziellosen Suchaktionen mehr im Wald. Selbst fünf oder zehn Mann haben keine Chance gegen eine so große bewaffnete Bande, wie wir sie erwarten müssen. Und wir können keinen einzigen Kämpfer mehr entbehren. Wir müssen sie hier aufspüren.«
»Während sie das Dorf auskundschaften«, meinte Herwart und nickte zufrieden.
»Genau. Die bisherigen Überfälle zeigten, dass sie wussten, was hier vorgeht – wenn auch nicht alles. Wir müssen den Verräter aufspüren, falls es einen gibt« – dabei sah er auffordernd zu Marthe –, »und aufpassen,
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